Alessandro Stradella - Das Opernglas

21.03.2012

Alessandro Stradella

Das kleine, aber feine Stadttheater Gießen zeichnet sich seit vielen Jahren durch eine innovative Spielplangestaltung aus. Immer wieder können Musikfreunde dort Oper erleben, die nicht mehr zum gängigen Repertoire der meisten deutschen Theater zählen. Vor allem um Werker des Belcanto hat sich das Haus verdient gemacht. So gab es Aufführungen von Mercadantes >>| Giuramento<<, Donizettis >> Lucrezia Borgia<<, >>La Favorita<<  oder >> Maria Stuarda<<; am 17. März folgt die Premiere der völlig vergessenen Oper >> Maria Tudor<< von Giovanni Pacini. Die jüngste Ausgrabung galt dagegen einem Werk der deutschen Spieloper, das bei seiner Uraufführung ein großer Erfolg gewesen war, nach dem Zweiten Weltkrieg aber kaum noch aufgeführt worden ist. Der 200. Geburtstag von Friedrich von Flotow, der in diesem Jahr gefeiert werden kann, wurde zum Anlass den 1844 in Hamburg aus der Taufe gehobenen >> Alessandro Stradella << wiederzubeleben.
Stradella war im 17. Jahrhundert ungeheuer populär. Nicht nur als Komponist, sondern vor allem als Sänger , dem die Frauen buchstäblich zu Füßen lagen. Deren Avancen keineswegs abgeneigt, hatte er zahlreiche Affären, was vielen Vätern und Nebenbuhlern ein Dorn im Auge war. Diese gaben sich keineswegs zimperlich, hatten es zum Teil sogar auf Stradellas Leben abgesehen; so hält sich auch nachhaltig das Gerücht, dass der Sänger und Komponist im Zuge eines Eifersuchtsdramas ermordet worden sein soll…


Friedrich von Flotow und sein Librettist Friedrich Wilhelm Riese konzentrieren sich in ihrer Oper auf eine Liebesaffäre des Künstlers, die sie in Venedig während des Karnevals spielen lassen. Die Geschichte erinnert an die Handlung von Rossinis >>Barbiere<<: Der reiche Bassi will sein Mündel Leonore heiraten und versucht, sie gegenüber unliebsamen Liebhabern abzuschotten. Doch er hat die Rechnung ohne den trickreichen Stradella gemacht, der die ihm zugeneigte Leonore kurzerhand entführt; Bassi engagiert daraufhin mit Malvolino und Barbarino zwei Herren, die ihr Geld mit Auftragsmorden verdienen. Es ist dann aber die Schönheit von Stradellas Gesang, welche die Gauner von ihrer Tat abhalten. Als sie ihren Auftrag auf Drängen Bassis doch noch ausführen wollen, werden sie erneut durch seinen einfühlsamen Gesang – diesmal in Form eines herzerweichenden Geberts – im letzten Moment gestoppt. Am Ende löst sich alles im Wohlgefallen auf, der böse Vormund ist geläutert, Stradellas und Leonores Glück steht nichts mehr im Wege
Roman Hovenbitzer hat diese Handlung farbenfroh und sehr aktionsreich auf die Bühne gestellt; mitunter gestaltet sich die Inszenierung gar passend zur Jahreszeit als turbulenter Karnevalsschwank, ein Eindruck, der durch das Engagement der Showtanzgruppe „Soul System“ aus Hungen noch verstärkt wird. Dass das Regierteam bei seiner sehr kurzweiligen und schön anzusehende Realisierung von >>Alessandro Stradella<< an Milos Formans berühmten Mozart Film „Amadeus“ gedacht hat, ist offensichtlich, daran erinnert allein die äußerliche Anlage der Figur Stradellas durch wallende Perücke und glitzernde Kleidung (Kostüme: Bernhard Niechotz). Das mag zuweilen ein wenig überdreht wirken, doch wird das Publikum bestens unterhalten – schon wenn Leonore zu Beginn vor ihrem Vormund in  den Bühnenhimmel gezogen wird. Das Bühnenbild von Hermann Feuchter fordert dem technischen Personal des Stadttheaters nicht nur in dieser Szene einiges ab, sodass es eine gute Entscheidung war, dieses auch für den Schlussapplaus vor den Vorhang treten zu lassen.


Bei der rasanten Abfolge turbulenter Arrangements ging die Musik Flotows keineswegs verloren, Chorleiter Jan Hoffmann zeichnete diesmal auch für das Dirigat verantwortlich und sorgte dafür, dass die Balance zwischen Graben und Bühne nahezu durchweg gewährleistet war. Das Philharmonische Orchester kam allerdings erst langsam in Fahrt, geriet die Ouvertüre doch noch ein wenig blass und wenig konturiert. Doch die Musiker steigerten sich merklich und fanden den richtigen Zugang immer wieder an die französische Spieloper eines Daniel Francois Esprit Auber erinnert. Die eingängigen Melodien entfalteten sich auf vorzügliche Art und Weise, wobei das bereits erwähnte Geber Stradellas zum Höhepunkt des Abends geriet, was auch daran lag das der US-amerikanische Tenor Corey Bix sich rechtzeitig für diese große Szene freisingen konnte. Hatte seine Stimme zunächst gerade in der Mittellage nicht sicher geklungen, kam die hohe Tessitura von Anfang an sicher. Szenisch war Bix ein absoluter Aktivposten, der sichtlich in dieser Rolle aufging. Den insgesamt überzeugendsten Eindruck hinterließ die junge Sopranistin Anna Gütter, die als Leonore nicht nur durch ich natürliches Spiel erfreute, sonder zudem auch mit sicherer Linienführung und unangestrengter Höhe sang. Bei allen turbulenten Bühnengeschehen gelang es ihr, die Stimme stets im Fokus zu führen und frei strömen zu lassen.


Einen fiesen, durchtriebenen Bassi gestaltete Stephan Bootz, der zudem durch seinen variablen, in allen Lagen sichere Bass gefiel. Vor allem darstellerisch gaben Matthias Ludwig und Wojtek Halicki-Alicca ein vorzügliches Gauner-Duo. Sie waren ideal aufeinander abgestimmt und sorgten für manche komische Einlage, die beim Publikum bestens ankam. Da fielen ihre doch deutlich erkennbaren stimmlichen Grenzen nicht weiter ins Gewicht. Ein besonderes Lob muss an Chor und Extrachor gehen. Die Choristen waren von Jan Hoffmann ideal vorbereitet worden und bestachen durch Transparents und sichere klangliche Abstufungen – eine besondere Leistung angesichts der Tatsache, dass auch sie szenisch sehr gefordert wurden. So war es insgesamt ein unterhaltsamer Abend, der mit einer Oper bekannt machte, die durch aus häufiger auf dem Spielplan stehen könnte.


L.-E. Gerth, März 2012, Das Opernglas