Der Tenor- ein Künstlerschicksal - Opernfreund

21.03.2012

Es gibt Opern auf die man viele Jahre warten muß, um sie einmal auf der Bühne erleben zu dürfen: seit ich mit etwa 12 Jahren die Ouvertüre zu "Alessandro Stradella" in einem Rundfunkwunschkonzert hörte, wollte ich das ganze Werk sehen: das Stadttheater Gießen macht es im Flotow-Jahr (200. Geburtstag) möglich, das in einer Zeit, in der selbst der Welterfolg "Martha" des mecklenburgischen Komponisten schon fast eine Rarität auf den Spielplänen darstellt. Nun gut die Handlung haut nicht gerade um, Stradella, einer der bekanntesten Gesangsstars und Komponisten seiner Zeit liebt das Mündel Leonore, die von ihrem fiesen Vormund Bassi geheiratet werden soll. Nach einer geglückten Entführung schickt der finstere Alte zwei Ganoven aus, den Sänger zu meucheln, doch zweimal gelingt es, dank der Gabe göttlichen Gesanges, den Mord zu verhindern, unausweichliches Happy End.

Doch Flotow gelingt es im italienischen Milieu mit einer inspirierten Musik in Serenaden, Karnevalsumzügen, Buffoensembles, Koloraturarien, Gebeten und lebendigen Chorszenen ein kleines Feuerwerk an gelungenen Ohrwürmern zu entfesseln. Nur fünf Solisten braucht es, das Werk zu besetzen: der Titeltenor ist sehr anspruchsvoll, was Corey Bix mit strahlender Höhe gelingt, zwar ist die Stimme vom Heldenfach stammend nicht ganz so geschmeidig, wie es ein eher lyrischer Tenor wäre, doch Bix charmante Erscheinung und seine Stamina in der hochgelegenen Partie überzeugen. Anna Gütter singt mit Agilita und erfrischender Verve die geliebte Leonore. Stephan Bootz mit dunklem Bass den alten Brunnenvergifter, äußerlich erinnert er in diesem Kostüm etwas an Donald Sutherlands verschrobenen Film-Casanova. Tomi Wendt mit schönem Bariton den Meuchler Malvolino, während Wojtek Halicki-Alicca zwar längst über dem stimmlichen Zenit steht, doch als Charakterbuffo den Schurken Barbarino einfach saukomisch gibt.

Roman Hovenbitzer macht nichts, was die komische Oper nicht wäre, sondern inszeniert spritzig mit wunderschönen Tableaux vivants das Leben eines Startenors a la Peter Shaffers "Amadeus", Hermann Feuchter arbeitet mit den wunderbaren, herkömmlichen Theatermitteln, wie der Regisseur den offenen Umgang mit Theaterfloskeln nicht scheut. Bernhard Niechotz farbenfreudigen Kostümen in ihrer poppigen Phantasie seien dabei ein ganz wesentlicher Teil zugebilligt. Als I-Tüpfelchen beleben vier Tänzerinnen in der Choreographie von Tarek Assam, teils sogar schwebend, die Bühne, die Mitglieder der Hungener Showtanzgruppe "Soul System" sind bezaubernd und zeigen weibliche Schönheit und Sex-Appeal mal erfreulicherweise ganz fern von magersüchtigen Hungerharken.

Jan Hoffmann kommt mit dem Philharmonischen Orchester Gießen in der Ouvertüre noch etwas deutsch-behäbig daher, was sich erfreulicherweise im Laufe der Vorstellung zu prickelnden, französischen Tempi und Rhythmen entwickelt, das Gleiche gilt für die Chöre des Theaters, die sichtlich Spaß an ihren szenischen Aufgaben haben.
Ein gut besuchtes Haus mit fröhlicher Stimmung sind ein Beweis für die Güte der Aufführung, wie der unbekannten Oper, eine Fahrt in die "Provinz" nach Gießen lohnt sich allemal, ebenso wie der Mut auch anderer Bühnen, sich vielleicht einmal dieses bezaubernden Werkes anzunehmen.

Manfred Langer, 9.2.2012, Opernfreund