Die Neuproduktion des Stadttheaters, Leonard Bernsteins einaktige Oper »Trouble in Tahiti« hatte am Mittwoch im TiL Premiere. - Gießener Allgemeine

21.09.2011

Der Heiratsantrag ist in rosa Licht getaucht, das kleine Orchester bietet zwar keine Geigen für den Himmel der Verliebten, aber dafür umso mehr Klavier- und Bläser-Swing für das Flittern. Zur Happy-Zweisamkeit kommt mit der Zeit das Einfamilienhäuschen mit Vorgarten hinzu, ein schickes Auto und ein Stammhalter: eine perfekte Familie nach außen, immer nur lächeln - doch wie’s da drin aussieht, geht niemand was an... Außer die Mitwirkenden und Zuschauer in der Studiobühne im Löbershof. Sie boten und erlebten eine Stunde guter Unterhaltung:

Die Beziehung von Sam und Dinah hat sich nach sieben Jahren Ehe festgefahren - Geldgeschäfte und Vereinsleben nehmen ihn in Anspruch, sie lebt die Hausfrauenrolle und wird zunehmend depressiv. Streit und Kommunikations-Sackgasse schon am Frühstückstisch. Er holt im Sportverein einen Siegerpokal, sie kommt aus dem Kino heim - und geht plötzlich aus ihrer Lethargie heraus, regt sich fast hysterisch über den dummen Film »Trouble in Tahiti« auf. Wie kommen die beiden nun aus der Sackgasse in ihrer Beziehung heraus? Sie gehen zusammen ins Kino! Was sie letztlich ansehen, das soll hier nicht verraten werden. Ob die Ehe auf Dauer dadurch lebendiger wird, bleibt allerdings offen...

Leonard Bernstein hat in dieser knappen Schau die amerikanische Kleinbürger-Durchschnittsfamilie aufs Korn genommen. Das Spiel zwischen Klischees, Ironie und einem winzigen Quäntchen Tiefsinn hält sich unterhaltsam die Waage. Die eigentlich nichtssagende Handlung ist eine mit kommentierenden Songs aufgelockerte Szenenfolge, die Regisseurin Stephanie Kuhlmann zusammen mit Choreografin Maike Hild geschickt verzahnt hat im pfiffigen Bühnenbild von Mila van Daag im angedeuteten Stil der 50-er/60-er Jahre. Das idyllische Familienporträt im Bild an der Wand mutiert zum komischen Element - nämlich wenn (in der Premiere war der sperrende Mechanismus fast ein Running Gag) in dem freien Rahmen nach Art eines Kasperltheaters der Gesprächspartner erscheint oder das stets präsente Trio auf- und abtaucht: Vanessa Katz, Matthias Beitien und Martin Spahr singen, swingen und steppen nach Revue-Art, säuseln unwiderstehlich über »unseren Sam« und schwärmen vom Liebes- und Inselzauber.

Bernsteins Kunst kommt in der eingängig jazzigen, lyrischen, aber durchaus anspruchsvollen Musik zum Tragen. »Trouble in Tahiti« (Uraufführung 1952), für größere Orchesterbesetzung geschrieben, wurde 1999 von Bernard Yanotta umarrangiert; die deutsche Übersetzung stammt von Paul Esterhazy. Die wirkt mitunter etwas fremd im amerikanischen Sujet. Die Musik stellt mit sperrigen rhythmischen Verschachtelungen und dissonanten Intervallen recht hohe Anforderungen besonders an die beiden Protagonisten. Aber auch melodiös-lyrische Passagen wie das schön intonierte Duo Klavier/Flöte zu Dinahs melancholischem Psycho-Monolog vom Gartenparadies machen den Einakter musikalisch genussreich. Gesang und präsentes Spiel werden im TiL immer hautnah geboten. So vergegenwärtigen Henrietta Hugenholtz mit blonder Perücke und gewohnt intensivem Einsatz zusammen mit Tomi Wendt, der auch mal den Macho rauslässt, das Paar Sam und Dinah. Die bereits genannten drei Studenten der Frankfurter Hochschule für Musik und darstellende Kunst legen sich als Girl, Boy I, Boy II erfrischend und stilsicher ins Zeug. Hinter einer Glaswand die Musiker: Herbert Gietzen zeigte seine Vielseitigkeit und führte mit lockerer Gestik die sieben Mitglieder des Philharmonischen Orchesters durch die Premiere: Carol Brown (Flöte), Thomas Orthaber (Klarinette), Nobuo Tsuji (Trompete), Alexander Schmidt (Posaune), Heiko Hoffmann (Kontrabass), Joachim Michelmann (Schlagzeug) und Evgeni Ganev (Klavier). Der neue Gießener Inselzauber »Trouble in Tahiti« ist sowohl musikalisch interessant als auch darstellerisch gelungen. Das Publikum klatschte begeistert.
Olga Lappo-Danilewski, Gießener Allgemeine Zeitung, 23.12.2010