Leonard Bernsteins satirische Oper „Trouble in Tahiti“ auf TiL-Bühne in wunderbarer Umsetzung - Gießener Anzeiger

21.09.2011

Einen vollen Erfolg konnten Macher und Mitwirkende bei der Premiere der satirischen Oper „Trouble in Tahiti“ von Leonard Bernstein verzeichnen. In der Inszenierung von Stephanie Kuhlmann unter der musikalischen Leitung Herbert Gietzens macht die Produktion im TiL-Studio nicht nur einfach Spaß, sondern beeindruckt durch differenzierte Auffassung, darstellerische Verve und eine wunderbare musikalische Qualität.

Das fängt schon bei Mila van Daags kleinem, aber einfallsreichen Bühnenbild an, das der handlungsarmen Oper vielerlei verschiedene Aktionsebenen ermöglicht: Dauernd passiert was. So kann der vorhersehbare Verfall einer Ehe im Himmel paradiesischer amerikanischer Vorstädte seinen maliziösen Lauf nehmen. Anders gesagt, die kühle, spöttische Kritik am „American way of life“, die Bernstein seinerzeit beabsichtigte. Zu deren Vermittlung trägt die prägnante deutsche Fassung des Librettos von Paul Esterhazy wesentlich bei.

Die tragende musikalische Grundlage liefert der stellvertretende GMD Herbert Gietzen. Der bildet die zahlreichen musikalischen und stilistischen Intentionen Bernsteins förmlich unter der Lupe ab. Souverän lässt er die wenigen Mitglieder des Philharmonischen Orchesters mit herausragender Durchsichtigkeit agieren und erzielt dabei eine vollkommene, leichthändige Geschlossenheit. Besser geht’s nicht, und auch mit den bestens disponierten Sängerinnen und Sängern besteht ein perfekter kreativer Kraftschluss.

Glaubwürdiges Paar

Apropos: Henriette Hugenholtz und Tomi Wend als Dinah und Sam, das dem Verderben geweihte Paar, liefern eine außergewöhnliche Synthese von tadelloser, authentischer gesanglicher Qualität und inhaltlicher Glaubwürdigkeit, die den beiden Hauptebenen der Oper trefflich Rechnung trägt. Hinzu kommt ein weiteres Pfund der Produktion, das Trio. Denn wie Vanessa Katz (Girl), Matthias Beitien (Boy 1) und Martin Spahr (Boy 2) ihre verschiedenen angenehmen Stimmfarben zusammenfügen, verschmelzen sie einerseits zu einer warmen Klangquelle, die mal schmachtend, dann wieder mitfühlend oder spöttisch tönt. Choreographin Maike Hild hat sie zudem zu ganz runder und durchaus nicht ironiefreier tänzerischer Aktion geführt, ein echter Pluspunkt.

Stephanie Kuhlmanns Inszenierung führt dieses beachtliche kreative Kapital zu einer stimmigen und geistreichen Umsetzung. Die berücksichtigt zum einen schwungvoll und heiter die musikalischen Vorgaben und führt zum anderen mit vielen Kleinigkeiten Stimmung und Lebenskrampf der amerikanischen Mittelschicht („Wein in der Suppe, Kunst an der Wand“) in der Zeit der Straßenkreuzer vor. Ganz toll ist der Song über den Inselzauber gelungen, in dem erst Hugenholtz und dann auch noch der Rest präzise und genussvoll ausrasten: exzellent.

Und der dramaturgische Kniff, am Ende nochmal die unbeschädigte Zweisamkeit Sams und Dinah, mit der das Stück beginnt, auf dem ollen Schwarzweißfernseher zu zeigen, ist nicht nur originell, sondern rundet das Stück sauber ab (mit einer Chabrol‘schen Kreisblende, köstlich), ohne es jedoch zu versüßen.

Riesenbeifall

Herbert Gietzen blickt schließlich mit einem beherrschten, aber deutlichen Hauch von Zufriedenheit auf das Ensemble. Riesenbeifall, inklusive Premierengetrampel.
Heiner Schultz, 24.12.2010, Gießener Anzeiger