»Prinz Friedrich von Homburg« am Stadttheater - Gießener Allgemeine Zeitung

20.09.2011

Wolfram Starczewski inszeniert Kleists »Prinz Friedrich von Homburg« am Stadttheater betont sprachkonzentriert. Dennoch ist die von Lukas Noll entworfene Bühne mit ihrer an Seilen hängenden Fläche ein besonders gelungener Hingucker.


Szene aus »Prinz Friedrich von Homburg«. (Fotos: Rolf K. Wegst)
Mit entblößtem Oberkörper steht er da, die Augen verbunden, doch den Kopf voll mit den irrwitzigsten Bildern: Prinz Friedrich von Homburg träumt vom Sieg in der Schlacht, von der Liebe und dem Ruhm. Doch der »sinnverwirrte Träumer« findet im Kurfürsten einen vom Verstand geleiteten Widerpart und fragt sich am Ende, nachdem er dem Todesurteil des Landesvaters wegen Befehlsmissachtung nur knapp entkommen ist, immer noch: »Wach ich? Träum ich?«

Heinrich von Kleist hat das letzte Stück seines krisengeschüttelten Lebens, das vor fast genau 200 Jahren mit seinem Selbstmord endete, ohne Rücksicht auf Bühnentauglichkeit geschrieben und Regisseur Wolfram Starczewski tut gut daran, dies nicht infrage zu stellen. Seine Inszenierung, die am Samstag im leider nur mäßig besetzten Stadttheater Premiere hatte, setzt ganz auf das gesprochene Wort. Auf der Bühne und bei den uniformähnlichen Kostümen herrscht fast ausschließlich Grau in den unterschiedlichen Nuancen. Die Schauspieler stehen zumeist starr an ihrem Platz. Und auf Requisiten wird komplett verzichtet, bis auf die überall auf der Bühne verstreuten Militärstiefel als Symbol des soldatischen Umfelds, denn schließlich spielt das staatspolitische Drama ursprünglich zur Zeit der Schlacht von Fehrbellin zwischen Brandenburgern und Schweden im Jahre 1675.

Der eigentliche Star des Abends ist aber ausgerechnet die Bühne. Lukas Noll hat sie entworfen. Eine riesige, an einem guten Dutzend Stahlseilen aufgehängte faltbare Fläche ist symbolträchtig schwankender Untergrund des Spiels, der sich herauf- und herunterfahren lässt, und auch schon einmal zur Steilwand wird, auf der sich die Schauspieler nur mit größter Konzentration bewegen können. Im Hintergrund zeigt eine Rückprojektion einen verschwommen aufgenommenen Militärhubschrauber und in den Traumphasen des Prinzen zu Beginn und Ende der Aufführung eine bläuliche Wasseroberfläche. Toneinspielungen des Hamburger Hörspielautors Hendrik Lorenzen ergänzen den Eindruck von nahem Kriegsgetümmel und begleiten das Knarzen der beweglichen Bühnenteile.

Lukas Goldbach spielt den Prinz von Homburg, Mirjam Sommer seine Verlobte Natalie.
Nur der Bühnenvordergrund bleibt stabil. Hier steht vor allem der von Roman Kurtz betont männlich-gereift gespielte Kurfürst, der den jugendlich-ungestümen Prinzen, der ihm wie ein Sohn ist, mit fester Überzeugung vor das Kriegsgericht stellt und zum Tode verurteilt, weil er das »Gesetz, die Mutter meiner Krone, aufrecht halten« muss.

Lukas Goldbach, Neuzugang im Schauspielensemble, interpretiert diesen Prinzen, der kein funktionierender Militär ist und sich nicht verbiegen lassen will, mit beklemmender Inbrunst. Sein Prinz ist kein sympathischer Held, sondern ein an den Umständen reifender Heißsporn mit durchaus menschlichen Schwächen. Er ist ein von schreckhaften Zuckungen gebeutelter Träumer in Uniform, aber auch ein junger Mann, der gegen väterliche Überlegenheit aufbegehrt und das eigentlich Unmögliche will. Und bleibt doch irgendwie wenig greifbar. Größenwahn, Selbstzweifel, Rebellentum und Todesfurcht: Dieser Prinz hat von allem im Übermaß. Und der von Milan Pesl gespielte Oberst Truchß, der als Stichwortgeber und schlechtes Gewissen des Prinzen daher kommt, fügt eine weitere, irrationale Facette hinzu.

Neu im Ensemble sind auch Mirjam Sommer, die sich als Prinzessin Natalie von Oranien beim Kurfürsten mit Militärkraft und Leidenschaft für die Begnadigung ihres Verlobten stark macht, und Ana Kerezovic, die als Kurfürstin in einer Nebenrolle mitwirkt. Frerk Brockmeyer gibt den undurchsichtigen Graf Hohenzollern, Harald Pfeiffer den besonnenen Obrist Kottwitz vom Regiment der Prinzessin und Rainer Hustedt den eher unauffälligen Feldmarschall Dörfling.

Kleists »Prinz von Homburg« müssen sich Schauspieler wie Zuschauer gleichermaßen hart erarbeiten. Im Prinzip spielt sich alles in den Köpfen der Protagonisten ab. Da gilt es, konzentriert zuzuhören, um der Handlung, die eher eine innere Wandlung ist, zu folgen. Das ist anstrengend und nur mit einer kleinen Erholungspause zwischendurch zu schaffen. Entsprechend fiel nach gut zwei Stunden Aufführung auch der Applaus des Publikums aus: Erschöpft, voller Respekt für die solide Leistung auf der Bühne und durchaus wohlwollend.
Karola Schepp, 19.09. 2011, Gießener Allgemeine Zeitung