Stradellas Himmelfahrt - Opernnetz

01.03.2012

Stradellas Himmelfahrt

Alle Welt kennt Flotows Martha; aber allein das Gießener Theater erinnert an den 200. Geburtstag des so melodienreichen „Romantikers“ – angemessen würdig und szenisch spektakulär.
Allessandro Stradella, ein vergessener Barock-Komponist und -Sänger, wird als unwiderstehlicher Charmeur von seinem spießig-rachsüchtigen Rivalen durch gedungene  Mörder verfolgt und als vom Volk gefeierter Sänger ermordet.
Roman Hovenbitzer macht aus dieser Opern-Petitesse ein quirliges Bühnen-Spektakel, leichthin präsentiert, barocke und romantische „Dramatik“ lustvoll karikierend, aber durchaus mit ironischer „Spiritualität“.
Hermann Feuchter präsentiert dazu ein Szenario mit allen Möglichkeiten der imaginierenden Bühnen-Technik – schwebende Engel, aus Pappkartons lamentierende Protagonisten, Drehbühnen-Effekte  mit wechselnden Wänden frivol-erotischer Malerei. Höhepunkt: Stradellas „Himmelfahrt“.
Corey Bix singt den „unsterblichen“ Sänger mit flexiblem Tenor und verlässlicher Mittellage – allein, es fehlt ihm das „Himmlische“ des imaginierten „Göttlichen“ – da steht das Kostüm für die Faszination. Aber wer kann denn schon „überirdisch-himmlisch“ singen?  Anna Gütter gibt eine kess-erotische Leonore, stimmlich permanent präsent. Stephan Bootz ist der eifersüchtig-besitzergreifend reiche betrogene Bräutigam – man erinnert den Doktor Bartolo und sein Mündel in Rossinis Barbier – mit stimmlicher Kompetenz. Als käufliche Filous agieren Torni Wendt und Wojtek Halicki-Allica mit variablen Stimmen.
Der Gießener Chor in der Einstudierung von Jan Hoffmann agiert angemessen flexibel und singt freudig die eingängigen Flotow-Passagen.
Um in die locker-zitatenreiche Musik Flotows zu finden, brauchen die Musiker des Philharmonischen Orchesters Gießen einige Zeit, ehe es Jan Hoffmann gelingt, den multi-inspirierten romantischen Flotow-Klang mit differenzierten Hörnern und Streichern adäquat zu vermitteln.
Das offen-erwartungsvolle Gießener Publikum findet sich rasch in das so abstruse Geschehen ein, reagiert  spontan  -  stellt sich  aber die Grundsatz-Frage: „So what?“  Die immanente Antwort ist klar:  Ihr Theater präsentiert fantasievolle  Illusion zu Zeiten knallharter Existenz-Bedrohung – mit Appellen zur Nachdenklichkeit stiftenden Unterhaltung.
Franz R. Stuke, Opernnetz, Februar 2012