"Trouble in Tahiti" ist immer und überall - Deutschlandradio Kultur

21.09.2011

Bernstein-Einakter am Stadttheater Gießen


Dass die Oper ohne Liebe nicht auskommen kann, ist eine Binsenweisheit, denn die Oper erzählt nun einmal vorzugsweise Geschichten über die Liebe. Aber Oper und Ehe? Leonard Bernstein hat sich an diesem Thema in seinem Einakter "Trouble in Tahiti" versucht. Das selten gespielte Werk hatte nun am Stadttheater Gießen Premiere.
Sam und Dinah führen eine langweilige Ehe: Dinah nörgelt ständig herum und geht oft, viel zu oft zu ihrem Psychiater. Sam kümmert sich nur um sich selbst, um Geld und Sport. Jedes Gespräch der beiden mündet in eine mittlerweile routiniert geführte Streiterei. Man kompensiert die Aggression durch Toastschmieren für den anderen, Tisch-Decken-Sticken und eingeübte oberflächliche Dialoge. Dinah und Sam leben ganz offensichtlich in einer Scheinidylle.
Wird der Alltag Dinah zu viel, flüchtet sie sich ins Kino und schaut Filme wie "Trouble in Tahiti", der von nichts anderem erzählt als von ihrer eigenen Lebensgeschichte. Die junge Gießener Regisseurin Stephanie Kuhlmann bringt diese Geschichte am Gießener Theater im Löbershof (til) fein säuberlich aufs Tapet. Detailliert zeichnet sie mit Dinah und Sam eine Ehe-Tristesse im Amerika der 50er-Jahre nach. So - denkt man - liest sich höchstwahrscheinlich auch die Fallstudie eines Paartherapeuten.
Bernsteins Oper wurde 1953 uraufgeführt, Stephanie Kuhlmann nimmt darauf konkret Bezug, indem sie ein amerikanisches 50er-Jahre-Häuschen auf die Bühne stellen lässt (Bühnenbild: Mila van Daag): mit Truhenfernseher, Gummibaum, rosa Doppelbett mit Volantüberdecke, kleinem Schreibtisch. Über allem prangt das Familienbild von Dinah, Sam und dem Sohn: Vater, Mutter, Kind. Die siebenköpfige Band - man spielt eine Opernfassung aus dem Jahr 1999 - ist in einem Nebenzimmer platziert. Das Licht ist grell, die Farben sind noch viel greller: Das Bühnengeschehen erscheint wie ein live gespielter Technicolorfilm - zumindest wurde hier in Sachen Petticoat, Make-up und Föhnfrisur ordentlich nachkoloriert.
Leonard Bernstein wollte eine amerikanische Oper schreiben und schafft so eine Mischform aus Oper und Musical: Er versieht die beiden Protagonisten Sam (Tomi Wendt) und Dinah (Henrietta Hugenholtz) mit Opernstimmen, lässt aber immer wieder einen kleinen Chor aus drei Sängern auftreten, der in das Geschehen mit typischen Musical-Sing- und -Tanzeinlagen interveniert. Regisseurin Kuhlmann verfügt über einige Tricks, diesen kleinen Chor überraschend und komisch auf die Bühne zu treiben: mal steigt er durchs Fenster, mal lugt er hinter dem Familienfoto hervor, mal "spielt" ein Chorsänger das Spiegelbild von Sam. Bernsteins Stück ist durchkomponiert, flott, kaum eine Stunde lang. Es kommt dem doch eher schwierigen Thema "Ehe" mit frappierender Alltagssprache bei. Dinah lässt sich schon auch einmal zu einem "Scheiße!" hinreißen. Die Melodien sind eingängig, eher jazzig, typisch Bernstein.
Stephanie Kuhlmann entwickelt ein rasantes Kammerspiel, sehr unterhaltsam, weil die Figuren - hysterische Dinah und gockelhafter Sam - überzeichnet sind. Als Regiedebüt kann sich die Arbeit sehen lassen, weil sie auf leichtfüßige Art klar macht, dass die Ehe ein kompliziertes Unterfangen ist: in den 50er-Jahren nicht weniger als heute. Am Ende wird alles gut: "Trouble in Tahiti" ist anscheinend immer und überall.
Deutschlandradio Kultur | 22.12.2010  Natascha Pflaumbaum