»Unvollendete« beim Sinfoniekonzert im Stadttheater - Gießener Allgemeine Zeitung

26.09.2011

»Unvollendete« beim Sinfoniekonzert im Stadttheater

Frische Luft für die traditionsreiche Konzertreihe: Mit einem jungen Fagottisten im »Auftakt« begann der Abend im Stadttheater, mit einer dynamisch ausgeleuchteten »Unvollendeten« von Franz Schubert endete er.

Dazwischen eine anregende, fast gewagte Programmzusammenstellung mit einem jungen Dirigenten am Pult. Am Schluss des 2. Sinfoniekonzerts am Dienstag erhielt Florian Ziemen, der als Gast das Philharmonische Orchester durch mehrere Epochen der Musikgeschichte führte, nachdrücklichen, herzlichen Beifall aus dem annähernd voll besetzten Haus.

Symeon Rizopoulos bot mit dem 2. und 3. Satz aus Wolfgang Amadeus Mozarts Fagott-Konzert B-Dur (KV 19) einen Einstieg, der viel Zustimmung fand. Der Fagottist aus Thessaloniki ist Student an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, konzertiert bereits international und lehrt in seinem Fach unter anderem an der Kommunalen Musikschule in Gießen. Überaus souverän und mit geschmeidigem Ton gestaltete er die beiden Tempi, zunächst von den Streichern mit seidigem Sordino begleitet. Im munter ausschreitenden Allegro überzeugte er mit sauberer Technik in den Läufen; Ziemen sorgte dabei stets aufmerksam für ein klanglich korrelierendes Musizieren mit der Philharmonie.

Im Jahr ihrer Entstehung (1928) auf der Höhe der Zeit war Anton Weberns Sinfonie op. 21. Nach dem revolutionierenden Ansatz Arnold Schönbergs, einen Weg aus der gedankenschweren Spätromantik zu finden, betrat auch Webern die Welt der Zwölftonreihen. Das radikal atonale Konstrukt motivischer Zusammenhänge wirkte in seinem schrittartigen, punktuellen Anreißen weniger Töne durch aufeinanderfolgende Instrumente spartanisch und rudimentär; die Mitglieder der Philharmonie setzten den Notentext präzise um. Die zwei Sätze erschließen sich akustisch kaum; die ungewohnten Klänge aus Streichern, Harfe, Klarinette, Bassklarinette und zwei Hörnern weckten jedoch aufmerksames, wenn auch nicht überbordendes Interesse bei den Zuhörern. Sie wurden mit Mozart versöhnt: Das Konzert für Flöte und Harfe KV 299 gehört zu dem Schönsten seiner Gattung, und zwei Solistinnen rückten aus den Orchesterreihen ins Rampenlicht: Carol Brown, Soloflötistin in der Philharmonie seit 1998, und Hye-Jin Kang; die Harfenistin ist im Gießener Orchester häufig Gast. Mozarts Doppelkonzert, 1778 für den Duc de Guines und seine Tochter komponiert, fand eine gelungene Umsetzung. Der sensible Ton der Flöte korrespondierte mit dem exakten Zugriff an der Harfe, und Ziemen regulierte mit Feingefühl, damit das Orchester die zarten Soloinstrumente ja nicht überdeckte – ein ausgewogenes Klangbild. Die Solistinnen nahmen in den Kadenzen besonders schön Bezug zueinander, wie es wohl Herzog Adrien-Louis und seine Tochter Marie-Louise-Philippine ihrerzeit auch getan haben mögen. Im Andantino zelebrierte Brown den poetischen Ton und Kang imponierte mit präziser Artikulation; ein leichtfüßig schwingendes Rondo bezauberte weiter. Mit Jean Francaix’ Canzonetta, einem Vivace aus »Cinque piccoli duetti« dankten die Musikerinnen für den Applaus.

Ein serenadenartiges Idyll ist der aus Gustav Mahlers 1. Sinfonie separierte Satz namens »Blumine«, den das Orchester und seine hochqualifizierten Bläsersolisten (Trompete, Oboe, Horn) in fein differenzierten Abstufungen und mit Verständnis für die spezifisch spätromantische Tonsprache musizierten, bevor Florian Ziemen den Taktstock zur vielgespielten, oft in romantisch-melancholischen Schönklang gefassten 7. Sinfonie
h-Moll von Franz Schubert hob. In den beiden Sätzen der »Unvollendeten« war hier kein verinnerlichtes Dahinfließen, sondern ein kontrastreiches und dramatisches Werk zu vernehmen, das neben allen melodiösen Schönheiten (Celli und Geigen brillierten) auch den Schaffenskampf des Komponisten durchscheinen ließ. Dem entsprach der unterschwellig nervöse Beginn mit dem expressiv vorgetragenen Klarinettenthema. Ziemen setzte spannungsreiche Akzente: Den nuancierten Streicherpassagen folgten scharfe Tutti-Schläge, in denen sich Düster-Bedrohliches ereignete. Temperament und sensible Konzentration strahlten vom Pult aus: Das dynamische Zusammenwirken von Ziemens Intention und ihrer aufmerksamen Umsetzung ergab ein unmittelbar packendes Erlebnis. Olga Lappo-Danilewski, 21.09.2011, Gießener Allgemeine Zeitung