Der Einzelne zieht immer den Kürzeren - Wetzlarer Neue Zeitung

20.09.2011

"Prinz Friedrich von Homburg" hat Premiere


Wer sich mit Leben und Werk des Dichters Heinrich von Kleist befasst, der stößt auf eine Welt des scharfen Gegensatzes. Sie ist auch das Thema in Kleists letztem Drama "Prinz Friedrich von Homburg", das am Samstag am Stadttheater Gießen Premiere hatte. Regisseur Wolfram J. Starczewski setzt in seiner Inszenierung vor allem auf Sprache und Symbolik, was den weltanschaulichen Pessimismus des 1809/10 entstandenen Theaterstücks sehr schön herausstellt.

Rund zwei Stunden lang verlangt Starczewski von seinem Publikum vor allem eins: zuhören. Wer die Aktion sucht, der ist in dieser Inszenierung fehl am Platze. Kampfgetümmel, Duelle oder Kriegsgeschrei? Das alles gibt es nicht zu sehen. Der Regisseur zeigt eine Welt, die völlig leer ist und sich aufs Andeuten beschränkt. Die Bühne ist nicht mehr als eine große Plattform, die zum Auftakt an Stahlseilen herabgelassen wird, im Verlauf des Stücks immer wieder ihren Neigungswinkel verändert und permanent wankt. Auch bei der Kostümierung der Offiziere Prinzessin Natalie von Oranien (Mirjam Sommer), Obrist Kottwitz (Harald Pfeiffer), Graf Hohenzollern (Frerk Brockmeyer), Feldmarschall Dörfling (Rainer Hustedt) und Oberst Truchß (Milan Pesl) setzt Lukas Noll auf Dezenz. Einheitliche Hemden mit Schulterklappen und Springerstiefel, die auch überall auf der Bühne herumstehen, müssen reichen, um die Welt des Soldaten kenntlichzumachen.

Das Konzept des Regisseurs, der Kleist pur auf die Bühne bringt, geht auf. Werkgetreu visualisiert er den Grundkonflikt des Dramas und des Dichters, dessen 200. Todestag am 21. November ansteht.

Staatsräson steht über den familiären Bindungen

Was dieser Konflikt war? Auf einen einfachen Nenner gebracht der Gegensatz zwischen den Anforderungen der Gesellschaft und den Wünschen des Einzelnen. Das Scheitern des Individuums, dem von der Gemeinschaft der Boden unter den Füßen weggezogen wird - gelungen durch die schwankende Bühne veranschaulicht - ist die pessimistische Philosophie und Grundkonstante des Dichters.

Kleist nutzt die Schlacht von Fehrbellin, wo sich 1675 schwedische und preußisch-brandenburgische Truppen gegenüberstanden, als Stoff für sein Drama. In dieses Kriegsgeschehen verpflanzt er seinen Prinzen Friedrich, den Lukas Goldbach als temperamentvolles und verträumtes Nervenbündel spielt. Das Problem des Prinzen: Auf der Jagd nach dem Lorbeerkranz greift er den Feind mit seinem Regiment entgegen höchster Order zu früh an. In der Welt des Militärs, in die Kleist selbst bereits mit 14 Jahren als preußischer Soldat eintrat, ist das eine Befehlsverweigerung. Sie wird vom obersten Befehlshaber Friedrich Wilhelm Kurfürst von Brandenburg - von Roman Kurtz als gesetzestreuer erster Diener des Staates verkörpert - vors Kriegsgericht gebracht. Das entscheidet auf Tod. Und um die Staatsräson nicht zu gefährden, ist Friedrich Wilhelm - immerhin der Ziehvater des Prinzen - nicht geneigt, das Urteil aufzuheben.

Es entwickelt sich ein weltanschaulicher Konflikt zwischen Eigensinn und Gemeinschaftsrecht, an dessen Ende das Individuum Friedrich getreu Kleistscher Philosophie wie ein gerupftes Huhn zurückbleibt.
Stephan Scholz, Wetzlarer Neue Zeitung, 19.09.2011