Makabrer Totentanz - Wetzlarer Neue Zeitung

20.09.2011

Spielzeiteröffnung mit Puccinis "La Bohème" in Gießen


Gießen. Nach zweieinhalb Stunden, inklusive langem und lautstarkem Applaus, war es ein hochkarätiger Spielzeitbeginn, der die Qualität der vergangenen Saison fortführt. Zum zwölften Mal inszeniert Helmut Polixa am Stadttheater Gießen und versucht als Leit (Leid) Thema die inneren Vorgänge der todkranken Mimi und der zwanghaft fröhliche Künstlerschar plausibel zu machen. Puccinis "La Bohème" hatte am Samstag Premiere.

Dazu baut Bastian Trieb ein minimalistisches Bühnenbild, was heißen will, die Bühne ist sparsam ausgestattet. Ein Treppengerüst für das Künstlerquartett, ein Laufsteg für die leidende Mimi. Dazu zwei längliche Rechtecke im Hintergrund, auf denen Schwäne ihre Bahn ziehen oder fallendes Schreibpapier den Fortlauf der Handlung als Videoeinspielung poetisieren. Für den Weihnachtsmarkt auf der Drehbühne ist der nackte Hintergrund durch Lichterketten romantisiert. Zwei verpackte Christbäume werden als Zeithinweis über die Bühne geschleppt.

Was dem Ohr eher schmeichelt als dem Auge, ist Verdienst des Philharmonischen Orchesters unter Herbert Gietzen. Er dirigiert behutsam und samtig die Ohrwürmer der Partitur. Der Opernfreund darf beruhigt die Augen schließen, das Bühnenbild ausblenden und sich der Musik hingeben.

Die Chöre (Leitung Martin Gärtner und Jan Hoffmann) tragen zu dieser wohligen Klangatmosphäre bei. Eher als krassen Kontrast zur Musik hat Kostümbildnerin Tina Hempel die Chöre ausstaffiert.

Von den Solisten kommt schönstes Belcanto

Kein Rotenburger Weihnachtsgefühl, sondern eine bedrohliche Phalanx aus schwarz gekleideten Menschen auf der sich endlos drehenden Bühne, ein makabrer Totentanz zu den musikalischen Seufzern.

Die kommen mit schönstem Belcanto von den Solisten. In der Eingangsszene brillieren Adrian Gans, Tomi Wendt, Stephan Bootz und Abdellah Lasri als opulent schmetterndes Studenten-Kleeblatt. Die kolumbianische Sopranistin (alternierend mit Odilia Vandercruysse) spielt eine energisch-aggressive Musette. Eine berührende Interpretation bieten Maria Chulkova als Mimi und Abdellah Lasri als Rodolfo. Zwei harmonierende Stimmen, voller Kraft, mit schönen Piano-Passagen, unangestrengt im Fluss der Arien, Liebe und Leid auch darstellerisch überzeugend erlebt.

Das Publikum geht glücklich in eine italienische Septembernacht. Info und Kontakt: www.stadttheater-giessen.de
Peter Merck, Wetzlarer Neue Zeitung, 05.09.2011