"Acis und Galatea" feiert umjubelte Premiere - Wetzlarer Neue Zeitung

08.11.2012

"Acis und Galatea" feiert umjubelte Premiere

Händel-Oper begeistert im TiL

Zum Schluss hatte es fast den Anschein, als wollten die Zuschauer mitspielen. Mit begeistertem Applaus und Bravo-Rufen krönten sie die hochkarätige Aufführung der Barockoper "Acis und Galatea" von Georg Friedrich Händel auf der TiL-Studiobühne.

In dem kleinen Theater waren sie hautnah ins Geschehen einbezogen: Links das Orchester, rechts die Akteure und unmittelbar anschließend die ersten Sitzreihen. Es passte alles, Gesang und Instrumentierung unter der musikalischen Leitung von Jan Hoffmann und die einfallsreiche Inszenierung von Stephanie Kuhlmann.

Stolze 300 Jahre ist diese Kammeroper alt, und doch erweist sich die Komposition, wie viele andere aus der Zeit des Barock, mit ihren vorwärts drängenden Rhythmen und den eingängigen Melodien als quicklebendig und modern.

Das Abenteuer des Rollenspiels, das Spiel mit den Masken, hat seit der Zeit der Hirtenspiele nichts von seinem Reiz verloren. So geht es auch in der Gießener Inszenierung um ein Spiel von fünf jungen Leuten. Das Bühnenbild zeigt ein Fürstenzimmer mit Kerzen und Kronleuchtern, wie es zur Zeit Händels ausgehen haben mag. Schminken und Umkleiden der Sänger in der Maske ist anfangs über Videoprojektion zu beobachten. Ein Pfiff und schon gehts los, das muntere Spiel im Lande Arkadien, das auf der Bühnenleinwand im Hintergrund zu erkennen ist.

Bläser und Streicher des Philharmonischen Orchesters werden durch Cembalo und Laute des "Ensemble Animus" ergänzt. Zu Beginn besingt der Chor, bestehend aus den fünf Solisten, die Glückseligkeit einer scheinbar idealen Welt.

Die Nymphe Galatea und der Schäfer Acis lieben sich. Ein strahlendes Liebespaar, auch sängerisch überzeugend: Sopranistin Naroa Intxausti Bolunburu bezaubert mit ihrer klaren Stimme, die auch die höchsten Höhen mit Leichtigkeit nimmt und sich mühelos gegen die drei Männerstimmen behaupten kann. Florian Voss gefällt als Acis durch seine stimmliche Flexibilität, vor allem sein lyrisches Timbre scheint direkt aus Arkadien herüberzuklingen. Doch sein Gegenspieler ist nicht weit.

Stephan Bootz als böser Riese Polyphem ist die ideale Besetzung

Auch der Zyklop Polyphem begehrt Galatea. Der böse Riese aus der griechischen Mythologie hat mit Stephan Bootz und seiner ausdrucksstarken Bassstimme geradezu die Idealbesetzung gefunden.

Vom antiken Zyklopen ist in Gießen vor allem das eine Auge erhalten geblieben, eingepflanzt in einen Berg schwarzer Haare. Ein gruseliger König der Nacht, der dennoch gleich alle Sympathien auf seiner Seite hat. Aber: Im Maskenspiel hat er eine böse Rolle zugeteilt bekommen und so erschlägt er im Kampf um die schöne Nymphe seinen Widersacher.

Nun kommen Ovids Metamorphosen ins Spiel: Galatea "verwandelt" den Geliebten und verleiht ihm Unsterblichkeit. Dann bleiben noch Damon I (Heike Keller) und Damon II (Sang-Kiu Han) zu erwähnen, die durch ihre Anweisungen und Späße die Szenerie immer am Laufen halten.

Nach einer Stunde und 20 Minuten ist das kurzweilige Spiel vorüber, die Akteure nehmen die Musiker bei der Hand und geleiten sie nach draußen, im Hintergrund küsst Galatea Polyphem. Nein, bei Ovid steht davon nichts, aber zum barocken Maskenspiel passt die kleine Abschiedsszene gut.

Die kreativen und witzigen Ideen stammen von Mila van Daag (Bühne, Kostüme) und Maike Hild (Choreographie), die zum Schluss einen Sonderapplaus bekommen. Resümee: Eine äußerst sehens- und hörenswerte Kammeroper.
Ulla Hahn-Grimm, 07.11.2011, Wetzlarer Neue Zeitung