Der vielgereiste Mr. Hemingway - Ein locker gefügter Tanztheater-Abend über den Schriftsteller am Gießener Stadttheater - Frankfurter Rundschau

07.03.2013

Das stärkste Bild steht am Ende dieses rund zweistündigen Tanzabends: Da beginnt das kleine runde Podest, auf dem Tisch und Stuhl und Schreibmaschine stehen, zu schweben, zu schwanken und kippen. Die Tänzerin darauf schwankt mit und rutscht, rettet sich, indem sie Füße um Tisch- oder Stuhlbeine schlingt. Der Grund, auf dem sie steht, hält nicht mehr, aber sie versucht, noch die eine oder andere Taste zu erwischen, den ein oder anderen Buchstaben zu schreiben.

Zuletzt ist es also eine Tänzerin, die den großen alten Schriftsteller verkörpert; denn ohnehin geht es beim Tanzstück "Hemingway´s Party" nicht darum, einen Lebenslauf nachzuzeichnen und gibt es keine Rollenzuordnungen. Die beiden Choreografen des Abends, der Australier David Williams und Gießens Tanzchef Tarek Assam, haben eine nur locker an Lebensstationen orientierte Szenenfolge entwickelt. Sie hangelt sich vor allem an Orten und ihren Musiken entlang, beginnt mit den USA und den Andrews Sisters, führt nach Paris, nach Afrika - ohne Hemingway als Großwildjäger zu präsentieren -, nach der Pause nach Spanien und in den Spanischen Bürgerkrieg. Und zuletzt, vor dem Abschied auf schwankender Schreib-Plattform, nach Kuba. Fidel und bunt geht es nicht nur in der kubanischen Kneipe zu. Dieser Hemingway-Abend ist erstaunlich hell, über weite Strecken regelrecht gut gelaunt. Es ist gut, dass sich hier kein Hemingway-Darsteller am Ende erschießen muss, aber die Munterkeit des Auftanzens der feinen Gießener Truppe ist dann doch erstaunlich.


Tarek Assam, der seinen Co-Choreografen David Williams das Thema vorgeschlagen hat, interessiert sich zweifellos für den Schriftsteller - vor allem aber scheint er sich für dessen Abenteurer- und Reisenden-Leben zu interessieren, dessen geografische Stationen sich so gut in Tanz fassen lassen. Sexy und mit Baskenmütze in Paris, rhythmusgetrieben und in feschen Schattenrissen in Afrika, mit schwingenden Hüften in Kuba. Geschmeidig ist dieser Tanz; manchmal, wenn die Atmosphäre sich eindunkelt, erlaubt er sich ein paar Ecken und Kanten. Ein sehr stilisierter, eleganter Boxkampf findet statt, und die Gräuel des Kriegs werden angedeutet, indem sich der ein oder andere Tänzer mal ans Bein fasst, humpelt, sich krümmt. Man bleibt dezent.

Sehr eingängig ist dieser Abend - was bei diesem Thema dann doch eine Schwäche ist. Allerdings schafft er es auch, Peinlichkeiten und jede Art von Kitsch zu vermeiden. Und die Kostüm- und Bühnenlösungen sind schlicht, aber gut. Gabriele Kortmann variiert so dezent wie einfallsreich Hemingways von Fotos vertrauten hellen Anzug, Lukas Noll lässt aus einem breiten Band mit zwei Hemingway-Zitaten zum Beispiel die Andeutung einer Kneipenfront hervorgleiten. Die Gießener Company ist eine kleine. Alle seine sechs Tänzerinnen und sechs Tänzer setzt Tarek Assam darum für einen solchen Abend im Großen Haus des Stadttheaters ein - muss sie einsetzen. Auch das mag natürlich eine Rolle spielen bei der keine festen Rollen zuweisenden Form dieses Abends. Damit man einigermaßen große Sprünge machen kann, muss man sie gerecht verteilen.

Sylvia Staude, 23.02.2013, Frankfurter Rundschau