„Freischütz“ erregt die Gemüter - Wetzlarer Neue Zeitung

18.09.2012

Nigel Lowery setzt auf paramilitärische Männerwelt statt auf deutschen Wald

An dieser Inszenierung des „Freischütz“ scheiden sich die Geister. Lauter Jugnen galt durchweg den Solisten, Chor und Symphonikern mit dem neuen Generalmusikdirektor Michael Hofstetter an der Spitze. Der englische Starregisseur Nigel Lowery aber musste sich am Ende der Premiere im Stadttheater Gießen am Samstag auch etliche empörte Buh-Rufe anhören.
„Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, Paradestück der deutschen Hochromantik, bot schon immer Raum für verschiedenste Interpretationen. Doch die paramilitärische Männerwelt des Nigel Lowery statt der tradierten heilgen Hallen des deutschen Waldes: Das war für einige Zuschauer entschieden zu viel des Guten. Kritik frei nach dem Motto „Made in Britain“ ist in Ordnung, aber bitte kein Skurriliätenkabinett. Doch genau diesen Verfremdungseffekt genossen viele Gießener Opernfreunde, flog doch damit auch eine Menge Staub der Aufführungspraxis von 1827 davon.
Kaum Staub angesetzt hingegen hat die wundervolle Musik von Carl Maria von Weber. Die schwelgerischen Melodien der Sänger, die kräftigen Streicher- und Bläserklänge gehen auch heute gut ins Ohr. Gleichwohl hat Michael Hofstetter eine neuere Partitur verwendet, die andere Schwerpunkte bei der Instrumentierung setzt.
So treten die Moll-Passagen mehr in den Vordergrund und die naive Fröhlichkeit der Landbevölkerung tönt bisweilen gar bedrohlich. Der Chor erfreute einmal mehr durch gesangliche Präsenz und Lebendigkeit (Leitung Jan Hoffmann).
Ein glückliches Händchen hatte Hofstetter in der Auswahl der Solisten: Sarah Wegener (Agathe) zeichnete sich durch ihre warme Sopranstimme aus, die auch die schwierigsten Passagen mit spielerischer Leichtigkeit meisterte. Die gefragte Interpretin war der Liebling des Publikums.
Ihr zur Seite stand Ännchen, diesmal keine jüngere, sondern eher ältere Verwandte (mit britischer Handtasche), souverän intoniert von Naroa Intxausti. Besonders reizend präsentierten sich die Brautjungfern in dunklen Kleidern und dunklen Augenrändern.
Nun zur Riege der Männer, die nicht in Jagdthüten, sondern Schildmützen auftrat. Der unglückselige Jägerbursche und Liebhaber Max (Eric Laporte) überzeugte mit dem breiten Stimmvolumen des Heldentenors, so dass er sich mit seinem Kontrahenten Kaspar (Marcell Bakonyi, Bass) die schönsten Duette lieferte. Das Gießen der Freikugeln entwickelte sich zum wirklich dramatischen Akt. Einen beeindruckenden Part nimmt noch der Eremit (Tobias Schabel) ein, der in moderner Variante als Psychiater auftritt. Und so endet der gesamte Theaterabend im Irrenhaus, wo Max in eine Zelle gesteckt wird.


Ursula Hahn-Grimm, 17. September 2012, Wetzlarer Neue Zeitung