Händels »Acis und Galatea« im Theaterstudio - Gießener Allgemeine Zeitung

08.11.2012

Händels »Acis und Galatea« im Theaterstudio

Als im Jahre 1718 Georg Friedrich Händel seine tonmalerische Masque »Acis und Galatea« uraufführte, geschah dies im exklusiven Rahmen auf dem Landsitz des Earls of Carnavon. Da liegt es nahe, dass das Stadttheater nun die kurze Oper im Theaterstudio im Löbershof zeigt.

Stephanie Kuhlmann hat das Kleinod mit Mila van Daag, die für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, als neobarockes Spektakel in englischer Sprache inszeniert, das die knapp 90 Minuten wie im Flug vergehen lässt und bei der Premiere am Samstag begeistert gefeiert wurde. Die musikalische Leitung hat Jan Hoffmann, der – als ausgewiesener Freund der Barockmusik – die Musiker des Philharmonischen Orchesters sowie des Ensemble Animus dirigiert.

Der römische Dichter Ovid hat in seinen »Metamorphosen« die griechische Sage von der Nymphe Galatea, die den Schäfer Acis liebt, niedergeschrieben. Der einäugige Riese Polyphem, der Galatea ebenfalls begehrt, erschlägt den Nebenbuhler. Galatea verwandelt den sterbenden Geliebten jedoch in einen Fluss, um ihm auf immer nah sein zu können. Händel hat den mythologischen Stoff in anmutige Melodien voller barocker Leichtigkeit und Finesse gefasst. Da hört man Vögel zwitschern, Nymphen schmachten und Riesen vor Wut rasen.

Im Theaterstudio verpackt Kuhlmann das Ganze nun in ein munteres Rollenspiel und lässt fünf junge Menschen mit Freude am Schauspielen und Singen in die alte Sage eintauchen. Dass Galatea dann quasi im Abspann das Monster und nicht den holden Schäferdarsteller küsst und die Orchestermusiker nach getaner Arbeit von den Sängern hinauskomplimentiert werden, setzt dem kecken Treiben die Krone auf.

Das neobarocke Bühnenbild, das mit üppiger Farbigkeit und Pomp punktet, findet in den Kostümen seine Entsprechung: Die Nymphe Galatea mit Korallen im Haar und aquafarbigem Kleid; der Schäfer Acis mit Widderhörnern (und dabei fühlt sich doch eher der Zyklop als Gehörnter), mit goldenem Brustpanzer und karierten DocMartins-Schuhen; sowie Polyphem als Frankensteinverschnitt mit aberwitzig hohen Lackplateaustiefeln und dem einsam in der hochtoupierten Frisur sitzenden Auge sind prächtig anzuschauen.

Prächtig anzuhören ist vor allem Naroa Intxausti Bolunburu, die die Nymphe mit ihrem makellosen Sopran zum feengleichen Wesen macht. Florian Voss singt den verliebten Schäfer mit stürmischem, zuweilen zu stürmischem Tenor und Stephan Bootz sorgt mit seiner soliden Bassstimme für angenehme Tiefe im ansonsten sehr hoch angelegten Stimmenklang, der durch die zahlreichen von Maike Hild einstudierten Schreittänze vor zusätzliche Herausforderungen gestellt wird. Heike Keller in der ursprünglich für Knabensopran vorgesehenen Rolle des Schäfers Damon und Sang-Kiu Han mit seiner erfreulich unaufgeregten Tenorstimme als ebenfalls kecker Schäfer gelingt es immer wieder, mit clownesken Einlagen schelmische Blitzlichter zu setzen. Jan Hoffmann und seine Instrumentalisten sind eine sichere Bank. Besonders reizvoll ist das Zusammenspiel der Bläser und Streicher in kleinster Besetzung mit dem Ensemble Anima, das mit historischer Laute (Toshinori Ozaki) und einem Cembalo (Markus Stein) aus dem Barock für eine ungewohnte Klangfärbung sorgt.

Und so fällt der Applaus nach der Premiere auch entsprechend begeistert aus. »It was a pleasure« kann das Publikum von heute so wie die adligen Zuschauer vor 300 Jahren zufrieden sagen.
Karola Schepp, 07.11.2011, Gießener Allgemeine Zeitung