„Hemingways Party“: Erfolgreiche Premiere des neuen Tanzstücks von David Williams und Tarek Assam - Gießener Anzeiger

18.02.2013

„Never confuse movement with action. All you do is sit down at the typewriter and bleed.” So ist es in großen Lettern über der Bühne zum neuen Tanzstück „Hemingways Party“ von Tarek Assam und David Williams zu lesen. Von dem Literaturgiganten stammt auch das Zitat, als hätte er es für das Tanztheater geschrieben. Die Sätze sind nicht leicht ins Deutsche zu übersetzen. Eine Art choreografische Übersetzungsarbeit leistete die Tanzcompagnie Gießen mit ihrem Projekt, das bewegte Leben des Ernest M. Hemingway auf die Bühne des Stadttheaters Gießen zu transformieren. Der begeisterte Applaus bestätigte am Ende, dass der Plan aufgegangen war.

Mit dem, wie es heutige Jugendliche formulieren würden, „geilen Sound“ der Schreibmaschine startete der Abend. Diesen Klang kennen die Computerkinder freilich nicht mehr. Zuerst ist nur das Rattern zu hören, das auch etwas Eintöniges und Mechanisches an sich hat. Dann geht das Licht an: Zu sehen sind von hinten zwölf Männer, die wie besessen in imaginäre Tasten hauen. Sie drehen sich um: Vor den Gesichtern tragen sie Masken mit den Konterfeis von Hemingway aus unterschiedlichen Lebensphasen. Ein Mann und die Legende seines Lebens. Ein Manischer, der ein Leben lang mit dem (auch) selbst konstruierten Nimbus kämpft.

Hier haben wir schon das Thema des Abends. „Motto Party“ nennen es die Mitglieder des künstlerischen Leitungsteams. Neben den beiden Choreografen sind das noch Bühnenbildner Lukas Noll sowie Gabriele Kortmann (Kostüme) und Manfred Wende (Licht). Ganz im Sinne einer Motto-Party ist der ganze Abend gestaltet. Kein chronologischer Ablauf zum Leben des großen Literaten (1899 bis 1961), der 1953 mit dem Pulitzerpreis und 1954 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Hemingway ist gelernter Zeitungsreporter, war als Sanitäter im 1. Weltkrieg in Italien im Einsatz, später kämpfte er als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg und berichtete immer wieder als Kriegsreporter. Seine Vorlieben: Stierkampf, Boxen, Großwildjagd, Hochseefischerei. Er sah sich als Liebling der Frauen und war viermal verheiratet. Doch seine große Leidenschaft und der Mittelpunkt seines Lebens war das Schreiben.

Von Depressionen und Krankheit geplagt setzte er schließlich seinem Leben mit einem Schuss in den Kopf selbst ein Ende. Das alles lässt sich gewiss nicht in einen Abend packen.

Dann also Motto-Party: Alle verkleiden sich und jeder erzählt etwas über den berühmten Schriftsteller. Dass dies aber auch so funktionieren kann, ist einmal mehr den kreativen Einfällen von Bühnenbildner Lukas Noll zu danken. Es sollte nicht jeder Ort und jede Station auf der Bühne dargestellt werden, sondern einzelne charakteristische Orte: in diesem Fall eine Bar im Stil der 40 er Jahre aus den USA. Ein bekanntes Motiv? Natürlich: das bekannte Gemälde „Nighthawks“ des amerikanischen Malers Edward Hopper, das sich für die Bühne wunderbar variieren lässt, vor allem, wenn es mit einem Videoband ausgestattet ist, auf das sich Schriftzüge, Bilder oder Live-Videos projizieren lassen.

Am Anfang steht Paris. Hier lernte Hemingway viele bekannten Künstler kennen. Er genießt das ungezwungene libertäre Leben und beschließt, Schriftsteller zu werden. Der Takt für die zwölf Tänzer ist durch den Wechsel von minimalistischer elektronischer Musik zu melodiösen Akkordeonklängen gesetzt. Es soll kein folkloristischer Abend werden, das wird später erneut in den Szenen „Afrika“ oder „In der Arena“ ganz deutlich. Auch die Kostüme vermeiden bunte Folklore. Es gibt ein Grundkostüm, das an die hellen Anzüge erinnert, in denen sich Hemingway oft ablichten ließ, so ist das Konzept von Gabriele Kortmann. Hinzu kommen dann im Rahmen der Party allerhand Accessoires, die für Abwechslung sorgen.

Auf die Pariser Bohème folgt der Aufenthalt Hemingways in Afrika. Zum Training besuchten die Mitwirkenden einen Workshop mit einer Tänzerin aus Senegal. Die Szenen werden schließlich als Schattenriss hinter einer Leinwand gezeigt: Kleine Zaubertricks sind bei Bühnenbild und Choreografie allemal erlaubt. Weniger idyllisch geht es gleich anschließend zur Großwildjagd. Ein Zebrafell als Projektion schmückt das Bühnenbild, im Vordergrund liegen vier erlegte Tiere. Fiesta Flamenco in der Arena führt direkt in einen Stierkampf, statt der Tiere sind es hier vier Frauen, die der Szene ihren besonderen „Touch“ verleihen.

Ergreifend stellen die Tänzer Szenen aus dem „Krieg“ dar. Auch wenn am ganzen Abend kein Werk Hemingways namentlich herausgestellt wird: Bei diesen Bildern denkt der Zuschauer unweigerlich an den Roman „Wem die Stunde schlägt“. Ohne einen einzigen Tropfen Blut wird die Grausamkeit der Kämpfe deutlich: Ein kurzes Antikriegsstück auf der Bühne, das Hemingways Heroisierungsversuche der Internationalen Brigaden ad absurdum führt.

Nun, die Party könnte bis in den frühen Morgen weitergehen. Da erzählen die Tänzer mit fließenden Bewegungen vom Leben in Cuba, die karibischen Rhythmen zeichnen ein Bild sommerlicher Leichtigkeit.
Die Tanzcompagnie Gießen – zu Saisonbeginn sind gleich mehrere Mitglieder neu hinzugekommen – hat sich zu einem Ensemble im besten Sinne zusammengefunden. In den meisten Szenen als Gruppe auf der Bühne haben sich die Tänzer Caitlin-Rae Crook, Lea Hladka, Yuki Kobayashi, Hsiao-Ting Liao, Mamiko Sakurai, Magdalena Stoyanova; Marco Barbieri, Esteban Barias, Michael Bronczkowski, Keith Chin, Sven Krautwurst und Manuel Wahlen aber auch als Paare oder in kleinen Solonummern bewährt.

Die einzige große Solonummer bleibt Magdalena Stoyanova vorbehalten. Sie zeigt auf schwankender Fläche des Schnürbodens mit intensiven, verzweifelten Bewegungen den Kampf des Schriftstellers mit der Schreibmaschine, mit dem Leben, mit sich selbst. Das Ende ist bekannt.

Ursula Hahn-Grimm, 18.02.2013, Gießener Anzeiger