Neues vom Jugendclub: »Achterbahn - Kein Weg zurück« - Gießener Allgemeine Zeitung

07.05.2012

Neues vom Jugendclub: »Achterbahn - Kein Weg zurück«

Das neue, selbst entwickelte Stück des Spieltrieb im Theaterstudio im Löbershof spürt der Frage nach, warum sich Mädchen der Neonazi-Szene anschließen.

»Ein Apostel des Bösen glaub ich oft zu sein, denn Dinge, die ich tue, sind voller Schmerz und Pein«, heißt es in dem Onkelz-Song aus den frühen 1980er Jahren, mit dem der Jugendclub-Spieltrieb am Freitagabend das Publikum zur Premiere von »Achterbahn – kein Weg zurück« im Theater im Löbershof empfing. Das unter der Leitung von Heike Meister selbst entwickelte Stück geht der Frage nach, aus welchen Beweggründen sich junge Mädchen der Neonazi-Szene anschließen. Ein unangenehmes Thema, dessen Ästhetik a priori schwer genießbar ist, doch das Jugendensemble fesselte die Zuschauer mit seinem Spieltrieb über 90 Minuten und der Schlussapplaus wollte kein Ende nehmen.

Lu (Dana Golafra) ist »komisch« geworden, seit sie sich mit der neu zugezogenen Mara abgibt. Wie kann es sein, dass ein junges Mädchen aus einer Medizinerfamilie plötzlich auf Runen und nationale Parolen steht? Vielleicht, weil sie nicht jenen Weg beschreiten möchte, den ihre Eltern für sie vorgesehen haben. Vielleicht auch, weil die Oberflächlichkeit ihrer Mitschülerinnen, die pausenlos ans Shoppen denken, mindestens ebenso abstoßend wirkt, wie die ruinöse Stimme eines Hooligans, der seinen Hass hinausschreit. Weil die Typen in der Schülerverwaltung ahnungslose Weicheier sind. Dass es in ihrem Ort keine alternativen Angebote für Jugendliche gibt, mag eine weitere Erklärung sein. Denn neben familiären Schwierigkeiten haben die Mädchen, die sich um die geheimnisvolle, intrigante Mara scharen, eines gemeinsam: Sie wollen etwas verändern, gehört, gesehen und respektiert werden.

Doch ihr Drang zu einer konstruktiven Entwicklung wird gehemmt. Daher besprühen sie Häuserwände mit Hass-Symbolen, bald schon werden sie handgreiflich – besser unangenehm auffallen, als überhaupt nicht gesehen zu werden. Immerhin lassen sich die Nazis nichts gefallen und halten zusammen. Anders als diese Mädchen, die jeden Morgen in einem Farbtopf zu baden scheinen, ehe sie das Haus verlassen, imstande, sich wegen eines Nagellacks gegenseitig die Augen auszukratzen. Ihr politisches Desinteresse widert Lu an. Dabei geht es im Grunde nicht um Politik. Das weiß sie auch. »Ich wusste was es bedeutet, mit dieser Mara abzuhängen«, sagt sie reumütig in einer jener Szenen, in der man sie in fahlem Lichtschein an einem Tisch abseits der Bühne sitzen sieht. Eine Vorblende, die die Katastrophe vorwegnimmt.

Mehr als die Handlung besticht das Zusammenspiel der Akteure, die ihre Rollen gut verinnerlicht haben. Weder die narzisstische Mara (Ronja Polzin) noch ihre Erfüllungsgehilfin Charlie (Linda Weber) sind wirklich böse. Mit großem Einfühlungsvermögen gelingt es den Darstellern, die Ohnmacht der Charaktere herauszuarbeiten, ihre Kindlichkeit, ihre Naivität, ihre Verletzlichkeit. Im kreischenden Gehabe der scheinbar rein materiell denkenden Girlie-Gruppe, die – so ignorant wie harmlos – das andere Extrem repräsentiert, kommen diese Motive weniger zur Geltung. Dafür sorgen sie mit ihren lustvollen Auftritten für die zahlreichen Lacher, die dem Stück farbige und leichte Momente verleihen. Besonders für junge Menschen ist »Achterbahn – kein Weg zurück« ein aufschlussreiches Lehrstück.
07.05.2012, Matthias Luft, Gießener Allgemeine Zeitung