Umjubelte Uraufführung von »Hemingways Party« - Gießener Allgemeine Zeitung

18.02.2013

Im neuen Tanzstück von Tarek Assam und David Williams am Stadttheater darf jeder mal den Schriftsteller und Lebemann verkörpern.

Selten war ein Tanzstück so abwechslungsreich in Musikstilen und Tanzarten, besser gesagt: Tanzzitaten. Zu erleben am Samstagabend im Stadttheater mit der Uraufführung von »Hemingways Party«. Das Premierenpublikum war begeistert von dem, was Tarek Assam und David Williams gemeinsam kreiert hatten. Der Applaus galt dem ganzen Team, honorierte vor allem die enorme tänzerische Leistung des jungen Ensembles. Denn mit Beginn dieser Spielzeit hat die Tanzcompagnie Gießen (TCG) besonders viele neue Mitglieder aufgenommen. Es ist die dritte gemeinsame Produktion für die zwölf Tänzer, nach »Dornröschen« und »Hypnotic Poison« im TiL.

Den Anlass für die diversen Musik- und Tanzstile gibt das aufregende Leben des Schriftstellers Ernest Hemingway (1899-1961): in den USA (Illinois) geboren, Mittelamerika (Kuba) am Ende zur Wahlheimat gemacht, dazwischen mehrere Stationen in Europa (Paris, Spanien, Deutschland) und in Afrika (Kenia). Er war Freiwilliger im Ersten Weltkrieg, Polizeireporter in Chicago, Auslandskorrespondent im Paris der Zwanzigerjahre und Kriegsberichterstatter. Er begeisterte sich für Großwildjagden, Hochseefischen und Boxen. Nicht zuletzt war er ein Womanizer, war mit vier Frauen verheiratet, hatte mehrere Kinder. Er machte aus seinen Erlebnissen erfolgreiche Romane und Kurzgeschichten, wurde für seinen schnörkellosen Schreibstil preisgekrönt, mehrere Bücher wurden verfilmt. Er war ein Getriebener, der hinter seiner machohaften Selbstinszenierung eine romantische, ja depressive Seite hatte. Er beendete sein Leben selbst.

Hemingways Wirken strahlt noch in unsere Zeit herüber, meint Assam. Das habe ihn gereizt, sich mit tänzerischen Mitteln dieser Person anzunähern. Dafür haben die Choreografen einzelne Elemente aus Hemingways Leben herausgegriffen, die sie in relativer Chronologie aufeinanderfolgen lassen. Die szenischen Übergänge der Mottoparty sind fließend, das Umkleiden findet teils auf der Bühne statt. Vor allem im ersten Teil sind konstant alle Tänzer präsent, als kommentierende Gruppe für eine Szene im Vordergrund.

Dominant ist die schlichte weiße Kleidung (Jeans und Tanktop) in Anlehnung an die weißen Anzüge, in denen Hemingway sich oft fotografieren ließ. Dahinter steckt das Konzept der Gleichbehandlung, so Kostümbildnerin Gabriele Kortmann. Nur selten gibt es explizit weibliche oder männliche Rollen, außer in den Liebesszenen (besonders verletzlich dargestellt von Hsiao-Ting Liao). Dazu passt das dramaturgische Konzept, dass alle mal in die Rolle von Hemingway schlüpfen.

Das sparsame Bühnenbild (Lukas Noll) zeigt vor allem den offenen schwarzen Bühnenraum in oft kärglicher Beleuchtung (Manfred Wende), dann wieder ein heruntergelassenes V-förmiges Element, das die Fensterfront einer Bar anzeigt. Darüber durchgängig eine Leuchtreklame mit Hemingway-Zitaten: »Never confuse movement with action. All you do is sit down at a typewriter and bleed.«
Folkloristische Elemente in Musik und Tanz sind dabei, sorgen für die fröhlich-ausgelassenen Momente: ausführlich beim französischen Reigentanz und in der Schattenszene des African Dance, behutsam angedeutet beim Flamenco und beim Samba (besonders gekonnt: Esteban Barias). Das wechselt mit ernsten Momenten wie die von Selbstzweifeln des Autors geprägten Szenen (beispielsweise Marco Barbieri), die durch das klappernde Geräusch der Schreibmaschinentastatur deutlich werden. Das Ringen um Wörter und Sätze wird mit verschiedenen Hilfsmitteln visualisiert, ein Haufen Papierblätter oder die sich bewegende Projektion von Worten am oberen Bühnenrand.

Gewalt und Töten sind schon in der Afrika-Jagdszene dabei (als Jäger Keith Chin). Doch wurde jemals Kriegsgeschehen im Tanz dargestellt? Assam und Williams haben es gewagt: Kampf und Verletzungen, Vergewaltigung und Entsetzen werden spürbar gemacht, atmosphärisch unterstützt durch kalte Lichtspots, die an die Zerrissenheit in Picassos »Guernica«-Gemälde erinnern, musikalisch geprägt durch den harten E-Gitarren-Sound von Dirty Three, der phasenweise an »The End« von The Doors erinnert.

Manches ist bewusst mehrdeutig gehalten. So wird die erfahrene Literaturratgeberin Gertrude Stein unvermittelt zur Liebenden. Oder ist doch die erste Ehefrau gemeint? In der Flamenco-Szene sind es zunächst vier hübsche Frauen (Caitlin-Rae Crook, Lea Hladka, Mamiko Sakurai, Yuki Kobayashi), die den Torero (Michael Bronczkowski) bewundern und anmachen, ihn letztlich aber mit einer Ohrfeige abfertigen – wohl symbolisch für die Ehefrauen – und dann zu Stieren in der Arena mutieren. Lacher aus dem Publikum und Szenenapplaus gab es übrigens mehrfach, auch bei dem Boxkampf (Manuel Wahlen und Sven Krautwurst), der mehr einem verzweifelt-komischen Ringkampf glich.

Das Ende ist ein symbolischer Höhepunkt und eine tänzerisch-darstellerischere Glanzleistung von Magdalena Stoyanova, die an den inneren Verzweiflungsmonolog ihrer Lady Macbeth erinnert. Die Basis des Schreibtischs gerät ins Wanken, hebt ab, rotiert, gerät in Schräglage – die innere Welt des Autors gerät aus den Fugen. Dazu erklingt der O-Ton einer Hemingway-Rede aus dem Off: Kauft mein neues Buch. Das Tanzstück ist auf jeden Fall Anreiz, mal wieder eins von ihm zu lesen.

Der Jubel am Schluss wurde gedämpft durch die Bekanntmachung von Intendantin Catherine Miville, dass der ehemalige Oberbürgermeister Manfred Mutz in der Nacht zum Freitag gestorben war. Alle erhoben sich zum Gedenken von ihren Sitzen.

Dagmar Klein, 18.02.2013, Gießener Allgemeine Zeitung