„Willkommen, Bienvenue, Welcome“ - Giessen-server

30.11.2011

„Willkommen, Bienvenue, Welcome“

Stadttheater Giessen: Musical „Cabaret“ in der Inszenierung von Intendantin Cathérine Miville

 „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ – das sind die ersten Worte des Begrüßungssongs von „Cabaret“, dem weltberühmten Musical aus der Feder von John Kander (Musik) und Fred Ebb (Liedtexte), das 1966 Uraufführung in New York hatte. Um die Welt ging dieser Song durch den gleichnamigen Film von Bob Fosse und seine Interpretin Liza Minelli (1972). Speziell für diesen Film wurden weitere Songs geschrieben, die ebenfalls zu Evergreens wurden: „May be this time“, „Mein Herr“ und „Money, Money“. Seitdem gehören sie auch in die Bühnenversionen.
Was sonst große Musicalbühnen inszenieren, setzte die Giessener Intendantin Cathérine Miville auf der vergleichsweise kleinen Bühne des Stadttheaters um. Sie legte dabei Wert auf die Herausarbeitung des historischen Umfelds, die späten Zwanziger Jahre in Berlin, und gab den Sprechpartien daher großen Raum. Alle drei Sparten des Hauses wurden integriert und für die tragenden Rollen erfahrene Musical-Profis gewonnen: Sophie Berner, profilierter Star der deutschen Musical-Szene, gibt die Nachtclubsängerin Sally Bowles und Andrea Matthias Pagani den Conférencier des Kit-Kat-Clubs; er ist dem Giessener Publikum bereits als Che aus „Evita“ bekannt. Auch für die musikalische Leitung ist mit Andreas Kowalewitz ein Musical-Spezialist vom Staatstheater am Gärtnerplatz München gekommen.

Berner beeindruckt mit ihrer großen, dunkel gefärbten Stimme, die sie höchst variabel einzusetzen weiß, ihre intensive Darstellung kommt vor allem in den leisen Szenen zum Tragen. Paganini gibt den Conferencier mit seinem klaren Tenor in einer eher nachdenklichen und beobachtenden Position; bewegend die Szene mit der steppenden Gorilla-Dame zum Liebeslied „Säht Ihr sie mit meinen Augen“.
Zum beschwingt aufspielenden Philharmonischen Orchester im Graben gesellen sich auf der Bühne der Chor sowie der Kinder- und Jugendchor des Stadttheaters Giessen. Alle Akteure sind in das Bühnengeschehen choreografisch eingebunden. Tanzdirektor Tarek Assam und sein erfahrener Co-Choreograf Anthony Taylor haben dafür schlichte, aber wirkungsvolle und witzige Formierungen einstudiert. Eine Frisurtechnisch aufgedonnerte Gruppe junger Frauen himmelt den Conferencier bei „Money, Money“ an und die Mädchen beeindrucken als Hitler-Jugend-Gruppe mit weizengelben Zöpfen. Die männlichen Sänger geben die Matrosen, die reihenweise das Frl. Kost (quirlig: Marie-Louise Gutteck) besuchen. Die Sänger tanzen und die Tänzer singen, so sind alle miteinander verquickt. Und die Tanzcompagnie setzt mit ihrem Können so manches Glanzlicht auf diese Show.
Die anderen Figuren sind mit Schauspielern aus dem Ensemble besetzt. Petra Soltau überzeugte bereits im ‚Marlene Dietrich’-Stück als Sängerin, hier spielt sie die biedere Zimmervermieterin Frl. Schneider. Ihrer Liebe zu dem jüdischen Obsthändler Schultz, anrührend dargestellt von Harald Pfeiffer, ist jedoch keine Dauer beschieden, da die Schatten des Nationalsozialismus immer bedrohlicher werden. Die parallel laufende Liebesgeschichte zwischen der Nachtclubsängerin und dem amerikanischen Schriftsteller Cliff Bradshaw, frisch und charmant dargestellt von Pascal Thomas, scheitert ebenfalls an der Politik.
Ausstatter Matthias Moebius aus Berlin hat die Bühne in ein buntes Karussell verwandelt, aus dem dank Drehbühne immer wieder die schlichte Pension wird. Alle Übergänge sind dadurch harmonisch ineinander übergehend. Mehrfache Schauer über den Rücken jagt allerdings der Wiedereinstieg nach der Pause: ist vorher das Lied „Tomorrow belongs to us“ als privates melancholisches Duett von Conferencier und Sängerin angelegt, so wird es nach der Pause - allmählich sich steigernd - zum lautstarken Anspruch der nationalsozialsozialistischen Volksgemeinschaft auf die Weltherrschaft. Die Tanzcompagnie wandelt sich von der Beine werfenden Tiller-Girls-Varieté-Gruppe zur stampfenden Militäreinheit.
Das Publikum applaudierte lang und begeistert zu dieser großartigen Gesamtleistung. Ein weltberühmtes Musical in einer begeisternden Inszenierung auf einer heimischen Bühne - Das ist einfach sehenswert!
Dagmar Klein, 29. November 2011, Giessen-server