Der Tanz der Heuschrecken - „Die oberen Zehntausend“ in Gießen - Frankfurter Rundschau

03.12.2013

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1909 hatte „Die oberen Zehntausend“ im Berliner Metropol-Theater Uraufführung, der Komponist dirigierte selbst. Tanzoperette hieß das Genre damals, bald sollte sich der Begriff Musical durchsetzen. Die Handlung war üblicherweise außer Rand und Band. Hauptsache, sie hatte Platz für Tanznummern.

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Das Stadttheater Gießen brachte jetzt „Tanz auf dem Pulverfass – Die oberen Zehnrausend“ unter dem dort schon bewährten Motto „Der Vergessenheit entrissen“ heraus. Man scheute keinen Aufwand, weder beim Personal (Chor und Extrachor, Tanzcompagnie, Philharmonisches Orchester), noch bei der Ausstattung, schon gar nicht bei der Pyrotechnik. Vor allem die Damen ziehen sich nach fast jedem Auftritt um, die Tänzerinnen sind mal von Kopf bis Fuß goldig, mal im sexy Krankenschwesterlook, kommen zuletzt zusammen mit Kollegen als Monsterheuschrecken auf die Bühne.

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Während sich das Ortchester und der Leitung Florian Ziemens bei den durchweg flotten, auch vage bekannt klingenden Operettenmelodien um eine „historisch informierte Aufführungspraxis“ bemüht (so das Programmheft), hat Roman Hovenbitzer ansonsten unbeschwert modernisiert und aktualisiert. Figuren heißen Dominique Kahn-Stross oder Mont-Guttenberg, eine Madame Criquet (famos: Marie-Luise Gutteck) gibt die Heuschrecken-Conférencière. Anleihen bei der Frankfurter Euro-Skulptur Ottmar Hörls hat Bühnenbildner Hank Irwin Kittel gemacht.

Die Handlung ist unerklärbar. Eine arabische Prinzessin (Désirée Brodka) ist jedenfalls keine, eine höhere Tochter brennt mit dem Chauffeure durch, ein zum Studium in die USA geschickter Sohn (Tomi Wendt) legt sämtliche Aktienbesitzer rein (kauft Lehmän. Flüstert er), so dass zuletzt alle außer ihm pleite sind. Der Ehemann (Ricardo Frenzel Baudisch) der falschen Prinzessin kehrt sich zu einem Leben am Würstchengrill und zu einer neuen Frau (Judith Spiesser), in die er sich verliebt, als die den jungen Mann gibt.

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Dann aber zeigte sich, dass man feine Operettensängerinnen und –sänger gefunden hat, die Schmelz mit einem Hauch von Ironie verbindet.

Sylvia Staude, 3. Dezember 2013, Frankfurter Rundschau