Energie im Eiswürfel-Rechteck - Frankfurter Rundschau

25.02.2014

Das Gießener Stadttheater nimmt sich liebevoll des Tanzerbes an, indem es ans S.O.A.P. Dance Theatre erinnert

Unter dem Motto „Soap Recreation“ kann man sich auch etwas ganz anderes vorstellen, Erholung in fluffigem Seifenschaum vielleicht. Aber Tarek Assam, Tanzchef am Gießener Stadttheater, beteiligt sein Ensemble damit an den derzeit allseits blühenden „Tanzfonds Erbe“-Projekten (die Bundeskulturstiftung gibt das Geld dazu) und erinnert an den portugiesischen Choreografen Rui Horta und das S.O.A.P. Dance Theatre Frankfurt, die einst international Furore machten. Das Künstlerhaus Mousonturm zeigte damals, Anfang der neunziger Jahre, wie man es macht: mit Qualität vor allem, zweifellos, aber auch entschiedenem Management. Schon anderthalb Jahre nach Gründung des Ensembles gewann Rui Horta den internationalen Choreografenwettbewerb von Bagnolet, Frankreich, bald kam man auf etwa 100 Aufführungen pro Jahr. Weltweit.

Zu einem rund zweistündigen Abend werden in Gießen nun die Horta-Choreografien „Ordinary Events“ (1991, Teil des Dreiteilers „Made to Measure“) und „Khôra“ (1996) zusammengefügt. Das Wiedersehen macht Freude, wie vermutlich auch das Zum-ersten-Mal-Sehen.

Geballte Energie

„Ordinary Events“ ist eine im Stil der 90er schnelle, sportliche, fordernde, knapp halbstündige Choreografie zu Trommelmusik der Tambours du Bronx. Ihren Reiz bezieht sie unter anderem aus Symmetrien und leichten Abwandlungen, aus optischer Prägnanz. Drei rote Läufer, rotgekleidete Tänzerinnen, Tänzer in dunkelrotem Hemd, die sich oft synchron, dann wieder eng gestaffelt oder kurz in ein Duo, ein Solo ausbrechend bewegen. Die Energie dieses Stückes (und auch seiner Musik) ist erheblich, geballt, mitreißend.

„Khôra“ war eines von den „abendfüllenden“, gut einstündigen Horta-Stücken, die sich einst im Mousonturm reihten wie Perlen an der Kette. Von Overhead-Projektoren umgeben ist die Tanzfläche darin, auf den Geräten stehen Behälter mit Eiswürfeln. Beziehungsweise die Tänzerinnen und Tänzer füllen die im Scheinwerferlicht blitzenden Würfel zuallererst ein, als wollten sie die Atmosphäre gleich mal abkühlen. Eine leichte Bedrohlichkeit scheint in der Luft zu liegen, eine Vereinzelung, obwohl man durchaus aufeinander Bezug nimmt. Es gibt auch heitere Momente, etwa ein Tanzposen-Duell (zwischen Yuki Kobayashi und Sven Krautwurst) zu einem triumphierenden „Et Violà“-Singsang. Aber Rui Horta ist doch trotz aller Tanz-Wucht eher ein Choreograf der Zwischentöne und des Melancholischen, der menschlichen Verwerfungen und Verletzungen.

Der ehemalige S.O.A.P.-Tänzer Dietmar Janeck arbeitete mit den Gießener Tänzern an den körperlich sehr anstrengenden Bewegungsfolgen, aber auch Horta selbst war zeitweise da. Das Ergebnis ist besonders bei „Khôra“ gut, wo auch die darstellerische Kraft und die Bühnenpräsenz gefragt sind.

Im ersten Stock des Gießener Stadttheaters ergänzt eine kleine, aber aufwendige Installation mit Fotos aus der Probenarbeit dieses Erinnerungsprojekt. Man würde sich wünschen, dass es regelmäßig so liebevoll betreute Rückblicke auf das Tanzerbe gäbe, denn der Tanz ist da unter den Künsten wieder einmal das Stiefkind. 32 Projekte immerhin werden jetzt deutschlandweit von der Bundeskulturstiftung gefördert, in Wiesbaden war es schon das Laban-Projekt „Loops and Lines“ von Stephan Thoss, in Mannheim hat am Wochenende „Tracing Isadora“ Uraufführung, das sich mit Isadora Duncan beschäftigt. Und ehemalige S.O.A.P.-Fans können jetzt getrost nach Gießen pilgern, sie werden dort feststellen, dass die kraftvollen, durchdachten Choreografien Rui Hortas kaum gealtert sind.

Sylvia Staude, 25.02.2014, Frankfurter Rundschau