TanzArt ostwest eröffnet mit „Siddharta“ von Tarek Assam und Mirko Hecktor - Gießener Anzeiger

22.05.2013

Wasser ist schon einmal geflossen in der Studiobühne TiL. Das war vor zwei Jahren in dem Jugendstück „Die Durstigen“. Dort war das Wasser in Form von Schnee und Eis materialisiert und taute leicht vor sich hin, diesmal floss es in Strömen. Eine Herausforderung nicht nur für die Technik, sondern vor allem für die Tänzer in der Eröffnungspremiere des Festivals TanzArt ostwest. „Siddharta“ heißt das Tanzstück, frei nach Hermann Hesse, in Szene und Bewegung gesetzt von den Choreografen Tarek Assam und Mirko Hecktor. Für Wasserspiele und Background sorgte die Bühnenbildnerin Imme Kachel.

Sechs Menschen auf Sinnsuche, drei Frauen (Yuki Kobayashi, Mamiko Sakurai, Magdalena Stoyanova), drei Männer (Michael Bronczkowski, Sven Krautwurst, Manuel Wahlen), die sich in wechselnden Beziehungen zusammenfinden. Ausgangspunkt ist Hermann Hesses Entwicklungsroman, der vor bereits fast 100 Jahren erschienen ist und als Wegbereiter für ganze Scharen von Hippies gilt, die sich in den 60er Jahren auf den Weg nach Indien zur spirituellen Erleuchtung machten. Doch wie kann man heute diesen Autor interpretieren, was ist aus dem Asien-Boom geworden, das sind die Fragen, die die beiden Choreografen umtreibt, und die sie nicht ohne Witz und Augenzwinkern beantworten. Denn neben Hermann Hesse wird von den Tänzern laut „James Bond 007“ propagiert, der Film „Octopussy“ könnte es also sein, der die heutige Sicht auf den Fernen Osten mehr prägt.

Doch der Reihe nach: Zunächst sieht das Publikum die Tänzer hinter Plastikfolien langsam ihre Runden ziehen. Die Gleichförmigkeit endet in lautem Stimmengewirr. „Wasser“, die Gruppe hat das Wasserfass auf der Bühne entdeckt, das sich langsam füllt. Doch bis der von der Decke herabfließende Strahl das Fass zum Überlaufen bringt, haben die Akteure noch einige Stationen zu durchleben. Die einzelnen Tanzszenen sind inhaltlich nach der Handlung in Hermann Hesses Buch gestaltet und erzählen in kreisförmigen Strukturen die Erlebnisse eines Menschen auf der Suche.

Der Guru wird in einem Film eingeblendet, sieht aber ironischerweise eher wie der Bayernkönig Ludwig II aus als ein indischer Bhagwan. Und wer genau hinsieht, kann in der Multimediashow auch kurz auch den Tanzdirektor Tarek Assam erkennen.
Die Tänzer sprechen auch: „Om ist Bogen, der Pfeil ist Seele“. Wie ein Mantra taucht dieser Satz in immer neuen Lebenssituationen auf und lässt sich in seiner Rhythmik von den Akteuren auch gut in Bewegung umsetzen.

Dann ist das Fass voll: Die angespannte Lage, durch die Musik und klopfende Geräuschkulisse fast ins Unerträgliche gesteigert, löst sich allmählich. „Das wächst mir alles über den Kopf“, ruft Magdalena Stoyanova aus und stürzt sich kopfüber ins Wasser. Ausgelassene Stimmung bei der Reinigung von Körper und Seele, lachende Menschen tanzen leichtfüßig durchs erfrischende Nass, nehmen Anlauf und lassen sich geschwind durchs spritzende Wasser gleiten.

Die Zuschauer in der ersten Reihe bekommen ein paar Spritzer ab, doch dafür liegen leichte Regenumhänge bereit. Während die Besucher sich einhüllen, werfen die Tänzer ihre Kleidung bis auf hautfarbene Trikots ab. Noch einmal entsteht ein Disput über Hermann Hesse und James Bond. Kein Grund zur Aufregung, denn Hesse(n) sind wir schließlich alle, ruft ein Tänzer. Eine letzte Rutschpartie noch und der Meditationskurs ist vorbei.

Lauter Beifall brandet vonseiten des plastikverhüllten Publikums auf. Viel Beifall für die wagemutigen Tänzer und die einfallsreichen Choreografen.

Weitere Aufführungen am 31. Mai und am 9. Juni, jeweils um 20 Uhr im TiL.


Ursula Hahn-Grimm, 18.05.2013, Gießener Anzeiger