Begeistert aufgenommene Inszenierung von "Hotel Savoy" - Wetzlarer Neue Zeitung

10.01.2012

Jeder stirbt für sich allein
Begeistert aufgenommene Inszenierung von "Hotel Savoy"

Nach zweieinhalb Stunden intensiven und emotionsstarken Theaters einhelliger Beifall, lobende Pfiffe und Bravorufe. Klaus Hemmerles Inszenierung von Joseph Roths Roman "Hotel Savoy" ist in Gießen angekommen.

Die Bühnenfassung von Koen Tachelet ist saftig, lebendig, balanciert zwischen Komik und Tragik, hat ihre stärksten Momente im musikalischen Bereich und im aufregenden Bühnenbild.

Das legendäre Hotel ist ein Ort Nirgendwo, in dem sich verzweifelte Heimkehrer, Opportunisten und Möchtegern Stars nach dem Ersten Weltkrieg treffen. Menschen, die vom Schicksal für Rollen engagiert wurden, die sie nicht mögen und die sie doch resigniert spielen müssen. Ihr Traum von Amerika erinnert an Tschechows "Drei Schwestern", für die Moskau Symbol einer unerreichbaren Zukunft bleibt.

Ein Akkordeonist (Wolfram Karrer) grundiert mit Musik des Ostens das gesprochene Wort, schafft eine traumhafte Atmosphäre, die zwischen Hell und Dunkel changieren kann.

Hemmerle choreografiert seine elf Mitspieler (einige in Doppelrollen) zu lebenden Bildern aus greller Komik und melancholischen Pausen. Diese Bilder werden lebendig, menschlich und berührend. Besonders eindrucksvoll zum offenen Anfang.

Das Ensemble hockt, in graue Decken gehüllt, auf der Vorderbühne. Ein Bild, das am Schluss die Szene wieder abschließt und an die Zeichnungen des englischen Bildhauers Henry Moore erinnert, der 1941 in Decken gewickelte Menschen in U-Bahn Korridoren während des Bombardements zeichnete.

Wenn das Schicksal den Menschen ihre Rollen zuweist

Das Hotel entbehrt jeglichen Glanzes, ein Gerüst aus Treppen in unbekannte Stockwerke, ein Aufzug transportiert die Gäste, alles zunächst hinter einem Gazevorhang, der das Gewusel nur ahnen lässt.

Johanna Maria Burkhart zeigt das Skelett eines früheren Prachtbaus, in dem keinerlei Gemütlichkeit mehr herrscht.

Das "Fleisch" liefert das Ensemble, dessen gegensätzliche Figuren durch die Maske (Hannelore Keil) plastisch werden. Besonders Frerk Brockmeyer, Milan Pesl und Roman Kurtz überzeugen durch ihre authentische Charakterisierung.

Harald Pfeiffer, Corbinian Deller, Mirjam Sommer, Lukas Goldbach, Ana Kerezovic, Rainer Hustedt und Petra Soltau sind weitere facettenreiche Interpretationen einer geglückten Inszenierung. Peter Merck, 10.01.2012, Wetzlarer Neue Zeitung