»Clyde und Bonnie« im TiL - Gießener Allgemeine Zeitung

09.01.2012

»Clyde und Bonnie« im TiL

Das Leben ist kein Film, auch wenn man Bonnie heißt. Die Schlussszenen eines Lebens lassen sich nicht in unendlichen Varianten wiederholen. Am Ende sind alle tot – nicht nur im Film.

Bonnie und Clyde, das berühmte Gangsterpärchen, sind ein Mythos und wenn »Clyde und Bonnie« (Inszenierung Abdul-M. Kunze) auf der TiL-Studiobühne durch die Kulissen fegen, ist das so spannend wie ein Film, so authentisch wie Theater, so schnell, bunt und komisch wie ein Comic und so tragisch wie das Leben.

Das Theaterstück des österreichischen Autors Holger Schober ist kein »Remake« des Filmklassikers, kein als Theaterstück in Szene gesetztes Liebesdrama eines Gaunerpaares, das in den dreißiger Jahren amerikanische Banken ausraubte. »B-Movie« nennt Schober sein Stück im Untertitel. Die Bühne (Dimana Lateva) ist ein Filmset, auf alt getrimmte Filmkulissen werden von Kostümständern und Requisiten flankiert, der Blick hinter die Kulissen wird wie von Überwachungskameras auf Monitoren ins Rampenlicht geholt. Statt Weltwirtschaftskrise gibt es korrupte Banken und Jugendarbeitslosigkeit, zerrüttete Elternhäuser und sexuellen Missbrauch. Mit ihrem Tod im Kugelhagel der Polizisten sind die historischen Vorbilder ein Symbol für eine Liebe jenseits der Grenzen und für die Freiheit, nach eigenen Gesetzen zu leben.

Auch mit Clyde (Pascal Thomas), der eigentlich Werner heißt, und Bonnie (Ronja Losert) hat es »das Leben nicht gut gemeint«, sie in Geschichten verwickelt, »die keiner hören will«. Weder, dass der Vater Bonnie unter den Rock griff, noch, dass Clyde seine Familie, eigentlich alle, die er je liebte, irgendwie verlor.

Wie auf einer ungeschnittenen Filmrolle entfalten sich die Szenen ungeordnet auf der Bühne und werfen Schlaglichter auf das Leben der beiden. Das Ende steht am Anfang: »Wie sieht’s aus?«, fragt Bonnie mit entsicherter Waffe: »Nicht gut!«, beschreibt Clyde die Tatsache, dass das Paar von einer Übermacht an Polizei umringt ist. Das Ende? Variante 1: Der Tod im Kugelhagel. Schnitt, Rückblende: Bonnie und Clyde sind ein cooles Pärchen. Ihre Monologe überschneiden sich, werden zum Dialog. War es Schicksal, dass sie wurden wie sie sind? Unaufhaltsam verschwimmen Realität und Fiktion. »Vielleicht hat es jeder schwer«, fragt sich Bonnie. »Jeder ist alleine!«, meint Clyde.

Szenenwechsel, Schlussvariante 2: »Der Tod ist nur der Anfang.« Bonnie zitiert Meister Yoda aus der »Starwars«-Trilogie. Im Petticoat traf Bonnie ihren Clyde in der Videothek. Schon bevor Clyde Bonnie liebte, liebten beide Filme. Bald haben beide sich in ihre filmreifen Szenen so verstrickt, dass nur noch schwer zu unterscheiden ist, wo Fantasie aufhört und das Leben anfängt. Beeindruckend gibt Ronja Losert einer burschikosen Bonnie, die klar und ohne Umschweife ihre Meinung sagt, ausdrucksstarke Stimme und Gesicht, überzeugend in jeder Situation, egal ob sie gleichsam gedankenverloren über das Leben sinniert oder mit beißender Ironie dem sich in romantischen Bildern verlierenden Clyde die rosarote Brille entreißt.

Mit Bravour meistert Pascal Thomas den Balanceakt, hinter der Fassade des coolen Clyde mit pubertärem Machogehabe eines Halbstarken, einen von Liebe verklärten Blick zu entfalten. Verspielt und ernst, komisch und charmant umgarnen Losert und Thomas als Bonnie und Clyde sich selbst und das Publikum im ausverkauften TiL. So nimmt das Schicksal seinen Lauf – nur wie und wann und wo, das wollen Clyde und Bonnie selbst bestimmen. Manchmal ist die Fantasie realer als das Leben.

Doris Wirkner, 09.01.2012, Gießener Allgemeine Zeitung