Die aktuellen Wahrheiten zweier Querköpfe - Gießener Anzeiger

10.10.2011

Die aktuellen Wahrheiten zweier Querköpfe

„Enten-Variationen“ erweist sich als Glanzstück zum 50-jährigen Bühnenjubiläum von Rainer Domke - Harald Pfeiffer als perfekter Spielpartner

 „Enten-Variationen“: Ein Glanzstück zum 50-jährigen Bühnenjubiläum von Rainer Domke. Wer ein Fan des bewährten Gießener Schauspielers ist, sollte sich dieses Kammerstück im TiL keinesfalls entgehen lassen. Der perfekte Partner in dem Zwei-Personenstück ist Harald Pfeiffer. Und da sich auch Christian Lugerth (Inszenierung) und Bernhard Niechotz (Bühne und Kostüme) allerhand hübsche Details haben einfallen lassen, belohnte das Premieren-Publikum alle Beteiligten zum Schluss mit einem Riesenapplaus.
Ein Handy klingelt, damit geht es los, der Zuschauerraum ist noch hell erleuchtet. Zwei ältere Männer kommen von hinten auf die Bühne, tasten sich durchs sorgsam installierte Schilf: „Da ist ein Boot“, ruft Emil Vare (Rainer Domke) und George S. Arnovitz (Harald Pfeiffer) widerspricht. Streit und Annäherung, das bestimmt die Freundschaft der beiden älteren Männer, die sich da täglich auf der Parkbank am See treffen.
14 kurze Szenen entwirft der 1947 in Chicago geborene, bekannte Dramatiker David Mamet. Alle sind von Gesprächen über Leben und Tod bestimmt, über Krankheiten und Alleinsein und über die Rolle der Natur. Die Dialoge sind auf der einen Seite durchaus philosophisch, auf der anderen Seite aber auch kurzweilig und witzig in Szene gesetzt. Denn immer geht es nicht etwa um Menschen, sondern um Enten, da erhalten die existenziellen Fragen des Seins doch gleich eine possierlichere Dimension.
Als „sehr einfach“ hat der amerikanische Autor sein Stück „The Duck Variations“ bezeichnet, als er es 1972 als damals gerade 25-jähriger Newcomer auf die Bühne brachte. Doch so einfach ist das Werk natürlich nicht, dazu sind die Dialoge zu tiefgründig und treffsicher, die Personen zu charakteristisch.
Mamet wurde in seinen späteren Stücken durch Kraftausdrücke und Schimpfwörter bekannt, beim Schreiben soll er durch Streitereien und die Scheidung der Eltern beeinflusst worden sein. Den Enten-Variationen liegt eine andere Geschichte zugrunde: Mit seinem Opa und dessen Freund war er als kleiner Junge öfters am Michigan-See unterwegs und hat dabei den Gesprächen der alten Männer zugehört.
Der Ton zwischen den beiden Protagonisten seines Theaterstücks ist durchaus liebevoll, wenn auch oft von Altersstarrsinn und einer eigenartigen Distanz unterbrochen. Aber Liebe und Freundschaft müssen sein, da sind sich beide sicher: „Allein kannst du nicht leben“, sagt Emil einmal. „Nichts was lebt, kann allein leben. Blumen. Nie findest du nur eine Blume. Bäume. Enten.“ Da ist Rainer Domke in seinem Element, mal nachdenklich, mal verschmitzt, mit kleinen ausdrucksstarken Gesten. Und Harald Pfeiffer in seinem amerikanischen Outlook mit Schlips und dezentem Westernhut kann auftrumpfen, kann mit seinen Kenntnissen über Enten und Naturgesetze ein bisschen prahlen, um sich dann doch wieder reumütig seinem Gefährten zuzuwenden. Immerhin wird bei den von den zwei Querköpfen verkündeten Wahrheiten eines deutlich: Es handelt sich hier um ein absolut aktuelles Stück: Wenn sie die Verschmutzung der Stratosphäre oder die riesigen Ölteppiche auf den Meeren beklagen, ist kaum zu glauben, dass die Uraufführung aus dem Jahr 1972 stammt.
Bei allen 14 Szenen ist der Zuschauer sich nicht sicher: Wo spielt die Geschichte überhaupt. Ist der Treffpunkt gar nicht im Park, sondern in einem Wohnzimmer? Sofa, Lampe, Perserteppich und Fernseher deuten darauf hin. Vielleicht gar in einem Altenheim? Doch da ist andrerseits das Schilf, ein Abfalleimer, und die Enten tauchen zum Schluss immerhin im Fernseher auf.
Mit Spazierstock und Fernglas
Im Grunde ist das aber auch nicht wichtig, jeder Zuschauer darf sich sein eigenes Bild machen. Wichtig sind die Dialoge und die beiden ausgezeichneten Schauspieler. Regie und Bühnenbild haben noch das ihre dazu beigetragen, die Szenen abwechslungsreich zu gestalten. Mit Spazierstöcken, Ferngläsern und frischen Bananen kamen immer wieder Requisiten auf die Bühne, die den Schauspielern Gelegenheit nicht nur zum Reden, sondern auch zum lebendigen Agieren gaben.
Und zum Schluss keinesfalls zu vergessen die dezente Pausenmusik von Christian Keul, in Insiderkreisen in Gießen längst bekannt als Mitglied der Gruppe „Captain Overdrive“. Klavier und Bass im jazzigen Lounge-Stil. Das wäre doch eigentlich auch für das heimische Wohnzimmer etwas besonders Feines oder auch, per Ohrknopf, für eine Parkbank im Schilf.
Ulla Hahn-Grimm, 10.10.2011, Gießener Anzeiger