Einen Cognac auf Lili Marleen - Gießener Allgemeine Zeitung

21.09.2011

Petra Soltau brilliert als Marlene Dietrich


»The Kraut« hat »Papa« Ernest Hemingway die kühle Blonde aus Berlin einst liebevoll neckisch genannt - und so heißt auch das Stück von Dirk Heidicke, das am Samstag auf der TiL-Studiobühne in Anwesenheit des Magdeburger Autors Premiere hatte.

»Dieses Lied haben wir euch entrissen«, triumphiert sie und schimpft auf die »singende Nazi-Laterne aus Bremerhaven«. »Ich war Lili Marleen«, sagt Marlene Dietrich aus voller Überzeugung und stimmt den Song, der Nationen von Soldaten im Zweiten Weltkrieg Trost spendete, auf Englisch an, um anschließend mit einem Cognac ihre Erinnerungen herunterzuspülen.

Es ist der Abend der Petra Soltau. Sie verschmilzt geradezu mit der unnahbaren Diva, die ganze Kompanien von Männerherzen zum Schmelzen brachte und nun - man schreibt das Jahr 1989 - vollkommen zurückgezogen in ihrer Pariser Wohnung lebt.

Soltau lässt die lästigen Gebrechen des Alters spüren. Doch selbst beim Schieben des Rollators bewahrt sie stolz ihre kerzengerade Haltung, betäubt die Schmerzen mit Alkohol und Tabletten. Nach und nach streift sie Morgenrock und Haarnetz ab, schminkt und kleidet sich sorgfältig für die gekonnt in Szene gesetzten Auftritte der Femme fatale, die nie ein Blatt vor den Mund nahm und wusste, wie man mit gezielten erotischen Gesten jeden Mann ins Bett kriegen konnte. Und wenn Petra Soltau ans Mikrofon tritt, trifft sie den typischen Dietrich-Ton haargenau. Ob nun als »fesche Lola« oder im Fronteinsatz vor amerikanischen Soldaten - sie macht immer eine gute Figur.

Das Stück von Heidicke hat Witz. Immer dann, wenn die Dietrich über Kolleginnen lästert, aber auch selbstironisch in den eigenen Spiegel blickt. Regisseur Christian Lugerth geizt nicht mit kongenialen Einfällen, hält angemessen die Balance zwischen sentimentalem Rückblick und der Tragik einer einsamen Frau, die sich im hohen Alter - Marlene Dietrich starb 1992 mit 90 Jahren - ihre eigene Beerdigung ausmalt.

Erfüllungsgehilfe für ihren letzten großen Auftritt soll Sekretär Bernhard Hall sein, den sie als Haushälter in ihrer beengten Wohnung herumscheucht. Doch Christian Keul staubt in seinem Part nicht nur gründlich die vielen Utensilien ab, die Ausstatterin Mila von Daag als Versatzstücke der Vergangenheit angesammelt hat. Er ist es auch, der Petra Soltau bei ihren Marlene-Songs am Klavier adäquat begleitet und augenzwinkernd manch kleinen musikalischen Scherz eingebaut hat.

Das begeisterte Publikum erklatscht sich bei der samstäglichen Premiere zwei Gesangszugaben, die das bestens harmonierende Duo gern erfüllt.
Marion Schwarzmann, Gießener Allgemeine Zeitung, 25.10.2010