Einfallsreiches Spiel mit viel Gespür - Gießener Anzeiger

07.11.2011

Einfallsreiches Spiel mit viel Gespür

Händels Kammeroper „Acis und Galatea“ in der Inszenierung von Stephanie Kuhlmann bei Premiere ausgiebig beklatscht
Mit Gespür, Einfallsreichtum, Witz und frischem Schwung bringt ein junges Inszenierungsteam ein fast 300 Jahre altes Stück auf die Bühne und heimst damit einen schönen Erfolg ein: Mit ausgiebigem, sehr herzlichem Applaus feierte das Publikum am Samstagabend im voll besetzten TiL-Studio die Premiere der Kammeroper „Acis und Galatea“ von Georg Friedrich Händel (1685 bis 1759). Unter dem belebenden Dirigat von Jan Hoffmann blüht Händels reizvolle Musik auf, und in der Regie von Stephanie Kuhlmann entfaltet sich in anderthalb Stunden ein kurzweiliges Opernvergnügen (in englischer Sprache).
Das den „Metamorphosen“ des Ovid entnommene Geschehen spielt in sizilianischer Landschaft zu göttlicher Zeit. Die schöne Nymphe Galatea wird von zwei Männern begehrt: von dem jungen Schäfer Acis und dem grausamen Zyklopen Polyphem. Im Kampf um die Gunst Galateas wird Acis von seinem Nebenbuhler getötet. Galatea verwandelt ihn jedoch aus Liebe in einen lebendigen Quell, der das Tal ewig durchfließt, und macht ihn somit unsterblich.
Im Bühnenbild von Mila van Daag ist von Sizilien nichts zu sehen. Stattdessen blickt man in einen vornehmen Salon der Barockzeit mit Kronleuchter, Sofa, Vogelbauer und mythologischen Darstellungen an den Wänden, in dem sich fünf junge Menschen die passenden Masken für ein Rollenspiel aussuchen. Die Regisseurin legt ihrer mit leichter Hand servierten Inszenierung nämlich den Gedanken zugrunde, dass Händel sein Opernchen für Liebhaberaufführungen im Kreise auserlesener geladener Gäste als sogenannte „masque“ (Maskenspiel) geschrieben hat. Zwischen Champagner und kleinen Häppchen tauchen die jungen Leute in die Fantasie der antiken Mythologie ein und „spielen“ Liebe, Eifersucht und Tod.
Klar wie das Licht in südlichen Gefilden treten unter Hoffmanns musikalischer Leitung die Natur- und Stimmungsbilder der Partitur hervor. Das aus acht Musikern des Philharmonischen Orchesters und dem „Ensemble Animus“ (Markus Stein, Cembalo; Toshinori Ozaki, Laute) bestehende Kammerorchester hat links von der Bühne Platz genommen und ist somit in direktem Kontakt zu den Sängern und zum Publikum. Diese intime Nähe lässt das Musizieren zu einem unmittelbaren, ungetrübten musikalischen Erleben werden. Man genießt die schönen Stimmungen und zahlreichen tonmalerischen Effekte, die nie grob illustrierend wirken, sondern als natürliche Äußerungen des musikalischen Ausdrucks angesehen werden müssen.
Die spanische Sopranistin Narora Intxausti Bolunburu, die in der Wiederaufnahme von Mozarts „Figaros Hochzeit“ als kecke Zofe Susanna zu erleben ist, strahlt auch als Galatea Anmut und Liebreiz aus. Wenn sie im Zwiegespräch mit der Flöte das Gurren der Taube in kleinen Schleifern nachahmt, das ist ganz reizend. Und die Regie unterstreicht die Szene noch mit einem sehr gelungenen Gag, wenn die freigelassene Taube durchs offene Fenster davonfliegt.
Die Wärme der Empfindung durchpulst auch die Arien des Hirten Acis, der mit seinen Hörnern auf dem Kopf wie ein Satyr aussieht. Gesanglich wirkt Florian Voss (Tenor) jedoch recht angestrengt und entfaltet erst in der frei schwingenden Höhe seine volle Intensität.
Händels Kammeroper „Acis und Galatea“ in der Inszenierung von Stephanie Kuhlmann bei Premiere ausgiebig beklatscht
Als einäugiger Riese Polyphem muss Stephan Bootz ungezügelte Wildheit und sexuelle Gier verkörpern. Er trägt eine Augenklappe und eine hohe Perücke, an der ein Auge prangt. Mit den großen Intervallsprüngen, rasenden Läufen und Trillern seiner Partie kommt der Bassist sehr gut zurecht, und dass auch ein komödiantischer Spieler in ihm steckt, zeigt sich in jener Szene, in der er von Damon I und Damon II gesäubert und zu einem finsteren Kavalier verwandelt wird. Mit ihren innigen Gesangsbeiträgen runden Heike Keller (Mezzosopran) als Damon I und Sang-Kiu Han (Tenor) als Damon II das positive Gesamtbild dieser Aufführung ab.
Weitere Vorstellungen am 20. November, 4. und 18. Dezember jeweils um 20 Uhr in der TiL-Studiobühne.
„Acis und Galatea“ ist eine in Sizilien beheimatete Landschaftssage, die sich auf den am Fuß des Ätna entspringenden Fluss Aci bezieht. Ein Ausbruch des Vulkans, der den Flusslauf änderte, mag der Anlass der Mythenbildung gewesen sein. Erste dichterische Formung erfuhr die Sage in den Hirtengedichten des auf Sizilien geborenen griechischen Dichters Theokrit im 3. Jahrhundert v. Chr.. Später hat sie der römische Dichter Ovid in seinen „Metamorphosen“ behandelt.
Thomas Schmitz-Albohn, 07.11.2011, Gießener Anzeiger