»Hotel Savoy« im Stadttheater - Gießener Allgemeine Zeitung

09.01.2012

»Hotel Savoy« im Stadttheater

Muss man einen Roman zu einem Bühnenstück umarbeiten? Nein, natürlich nicht. Aber wenn man es mit solcher Sorgfalt tut wie der Flame Koen Tachelet, dann darf man. Das 2010 in München Kammerspielen uraufgeführte Werk »Hotel Savoy«, nach dem gleichnamigen Roman von Joseph Roth, hatte am Samstag Premiere im Stadttheater.

Zu sehen war es in einer Inszenierung von Klaus Hemmerle, dem es gelungen ist, mit den Mitteln des Theaters und der Romanvorlage aus dem Jahr 1924 etwas ganz Eigenständiges zu schaffen.

Länger gab es im Gießener Schauspiel nicht mehr so viel Aktion auf der Bühne zu sehen. Nur selten sind zwei Akteure allein vor Publikum, es herrscht emsiges Treiben und es gibt in den gut zweieinhalb Stunden – auch durch die 16 Rollen für insgesamt elf Schauspieler – immer wieder Neues zu entdecken. Hemmerle lässt im Hotel Savoy – das Johanna Maria Burkhart mit einer mehrere Stockwerke füllenden Treppenlandschaft samt Aufzug treffsicher ins Bild setzt und dessen Bewohner Yvonne Forster in zeitlos wirkende Kostüme steckt – die Menschen sich immer wieder begegnen. Es sind desillusionierte Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg wie der im Roman als Erzähler fungierende Gabriel Dan, Varietékünstler wie der siechende Santschin, verschrobene Glücksritter wie der Lotterieträumer Hirsch Fisch und reiche Männer wie der Amerikaner Bloomfield, die im Hotel Zwischenstation machen und alle auf der Suche nach einer Zukunftsperspektive für sich sind. Doch sämtliche Lebensentwürfe sind vergänglich. Auch das viel gerühmte Amerika, als Sinnbild des Kapitalismus, erweist sich als wenig hilfreich. Und als am Ende bei einem Aufstand von Arbeitern – an ihrer Spitze der Berufsrevolutionär Zwonimir, der alles Gute mit »Amerika« beschreibt – das Hotel in Flammen aufgeht, da zerstreuen sich die vom Schicksal Getriebenen in alle Richtungen.
Wie Roth im Roman, so lässt Tachelet allerlei skurrile Typen im Hotel aufkreuzen. Was im Buch Dan mit Worten beschreibt, lässt Hemmerle in seiner Inszenierung mit den Mitteln des Theaters greifbar werden. Der sterbende Santschin als Clown oder der mit Valuta handelnde Abel Glanz, der auch schon mal aus dem Souffleurkasten emporkriecht, sind überzeichnete Typen, die dem rastlosen Treiben auf der Bühne ordentlich Würze geben – und schon allein durch die von Roth gesetzten sprechenden Namen provoziert sind. Und auch die fast unmerklich allgegenwärtige Musik von Wolfram Karrer, der mit seinem Akkordeon auf der Bühne umherspaziert und mit den Schauspielern gemeinsam osteuropäische Melodien auf unterschiedlichen Instrumenten musiziert, passt perfekt.

So wie das Spiel mit dem Summen der auf der Bühne sitzenden Arbeiter beginnt, so endet es auch mit dem Gebrumm der Soldaten eher ruhig. Und auch im Stück selbst ist der erzählende Ton Dans wie eine Klammer, die das turbulente Geschehen im Griff hält. Zu Beginn und Ende führt er die Zuschauer durch die Geschichte, im Mittelteil gibt es fast nur noch Dialoge – Gespräche, die Tachelet aus dem epischen Text Roths geformt hat und die Hemmerle und die Schauspieler auch mit der Musik in eine weitere Dimension trägt. Hier nutzt er die Freiheit des Theaters zum Amüsement der Zuschauer.

Das Schauspielensemble, das offenkundig Freude an den blitzschnellen Verwandlungen in unterschiedlichste Charaktere hat, liefert eine durchweg gelungene Vorstellung. Frerk Brockmeyer spielt den Gabriel als desillusionierten Menschen, der seinen menschlichen Regungen, auch der Liebe zur Tänzerin Stasia (Mirjam Sommer), nicht mehr vertrauen kann. Beeindruckend, mit welcher Leidenschaft Sommer die junge Frau verkörpert – und auch eine verständliche Scheu vor sehr freizügigen Szenen überwindet. Milan Pešl ist als mitreißender Revoluzzer Zwonimir, der sich auf der E-Gitarre zum rockigen Liedermacher-Protestsong »Wir sind Heimkehrer« begleitet und bei dessen Erscheinen der Gazevorhang demonstrativ fällt, ideal besetzt. Rainer Hustedt nimmt man den amerikanischen Millionär Bloomfield ebenso ab, wie den geschäftstüchtigen Valuta-Händler. Harald Pfeiffer gelingt der Spagat zwischen dem cholerischen und mit reichlich Brusthaar ausgestatteten Onkel Böhlaug und dem verträumten Lotterieverkäufer Hirsch Fisch im Nachthemd scheinbar mühelos, Ana Keresovic bringt als Santschins Frau osteuropäische Klänge ins Spiel und punktet als schamlose Animierdame in der Hotelbar, Lukas Goldbach kann als Santschin oder als geckiger Frisör sein clowneskes Talent einsetzen, Petra Soltau spielt überzeugend unter anderem den sarkastischen Militärarzt und Corbinian Deller gibt dem Stasia-Verehrer Alexander jugendliche Frische. Roman Kurtz, der in dieser Spielzeit mit Hauptrollen bestens versorgt ist, bleibt als heimlicher Hotelchef und angeblicher Liftboy Ignatz, wie es die Rolle erfordert, geheimnisvoll und nicht wirklich präsent.
Karola Schepp, 09.01.2012, Gießener Allgemeine Zeitung