"Krimi" mit ergreifenden Harmonien- Wetzlarer Neue Zeitung

21.03.2012

"Krimi" mit ergreifenden Harmonien
Pacini-Oper "Maria Tudor" feiert in Gießen Premiere

Es ist ein Drama um Liebe, Verrat, Intrigen und Eifersucht, mit dem das Gießener Stadttheater am Samstagabend begeistert hat.

Mit Giovanni Pacinis Oper "Maria Tudor" ist dem Stadttheater eine Entdeckung gelungen, die Opernfreunden eine sehenswerte Aufführung mit wunderbarer Musik bietet. Die deutsche Erstaufführung des 1843 in Palermo uraufgeführten Werks fand vor fast ausverkauftem Haus statt. Die Oper basiert auf dem gleichnamigen Schauspiel von Victor Hugo.

Die Untreue kostet den verhassten Günstling den Kopf

Maria Chulkova spielte hingebungsvoll die junge Clotilde Talbot, die als armes Mündel des Arbeiters Ernesto Malcolm nicht weiß, dass sie der letzte Spross einer reichen Familie ist. Kurz vor der Hochzeit mit Ernesto, den Adrian Gans bieder und seriös auf die Bühne bringt, hat sie eine heiße Affäre mit dem Herzensbrecher Riccardo Fenimoore, den Leonardo Ferrando mit sehr viel Schmelz verkörpert.

Fenimoore ist der Liebhaber der Königin Maria Tudor, die Giuseppina Piunti verkörpert. Minister Gualtiero Churchill, gespielt von Riccardo Ferrari, entdeckt die Untreue des verhassten Günstlings und sorgt dafür, dass die Königin es erfährt. Sie verurteilt den Geliebten zum Tod auf dem Schafott.

Das Stück hat alles, was ein guter Krimi braucht und wäre es von Elisabeth George geschrieben, wäre Fenimoore am Ende sicher mit dem Leben davon gekommen und hätte Maria Tudor geheiratet.

In Victor Hugos Version muss der junge Mann für die Untreue sterben und der Langweiler Ernesto bekommt am Ende seine Clotilde und wird durch sie zum reichen Mann.

Der große Reiz der Oper liegt aber nicht in der Krimistory, die im nebligen London und später in einem Königsschloss spielt, das Großartige sind die Musik und die vielen wunderbaren Arien, Duette und Tutti. Etwa die Liebesschwüre zwischen Maria Chulkova und Adrian Gans, in ergreifenden Harmonien wird die Liebe gemalt, Untreue und schlechtes Gewissen fließen in zart gesetzten Disharmonien ein, immer wieder münden die Duette in wunderbar komplexen Tonbildern.

Umwerfend im zweiten Akt das Duett von Giuseppina Piunti mit Maria Chulkova, in dem die beiden hintergangenen Frauen sich verbünden, um Fenimoore zu vernichten. Ebenso brillant und ergreifend die Arien, in denen die beiden Frauen um die geliebten Männer klagen und sie dann doch vor dem Schafott bewahren wollen.

Im Bühnenbild von Lukas Noll kommt die gesamt Bühnentechnik raffiniert zum Einsatz und die Rundbögen, die sich bis weit in den Bühnenhimmel fortsetzen, werden zunächst zu Brückenbögen und dann zu den düsteren Hallen des Palastes. Chor und Extrachor, gekleidet in eine Mischung aus Uniform und Ölzeug, agieren als Hofstaat ebenso überzeugend, wie als neugierige Bevölkerung.

Unter der musikalischen Leitung von Eraldo Salmieri schafft das Orchester eine überzeugende Klangwelt.

Regisseur Joachim Rathke macht aus dem vergleichsweise kleinen Theater am Berliner Platz durch den raffinierten Einsatz aller technischen Möglichkeiten ein ganz großes Opernhaus. "Marie Tudor" ist erneut eine gelungene Darbietung in Gießen, die man uneingeschränkt empfehlen kann.
Klaus Frahm, 20. März 2012, Wetzlarer Neue Zeitung