»Märchenherz« im TiL - Gießener Allgemeine Zeitung

25.10.2011

»Märchenherz« im TiL

Das Jugendstück »Märchenherz« von Philip Ridley hatte im Theaterstudio im Löbershof Premiere. In dem Zwei-Personen-Stück spielen Anne Berg und Lukas Goldbach.

Kirsty ist eifersüchtig auf die neue Freundin ihres Vaters und auch Gideon hadert mit der aktuellen Liebe seiner Mutter. Die beiden Jugendlichen treffen in einer kalten Winternacht in einem leerstehenden Gemeindezentrum aufeinander. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit – sie eine flippige Tussi, er ein im Obdachlosenmilieu aufgewachsener Freak – finden die beiden eine Möglichkeit, ihre Gefühle auszudrücken: mit Fantasie und Theaterspiel. Der Brite Philip Ridley hat diese Geschichte in seinem Jugendstück »Märchenherz« 1998 aufgeschrieben. Nun hatte es im Theaterstudio im Löbershof Premiere. In den Hauptrollen sind Lukas Goldbach und als Gastschauspielerin Anne Berg zu sehen.

Lange Zeit ist es fast stockdunkel im von Bühnenbildner Udo Herbster ganz in schwarz gelassenen Theaterstudio. Nur ein paar Lichtchen und Taschenlampen strahlen die Gesichter der beiden Protagonisten an. Regisseurin Angela Khuon-Seifert schafft so nicht nur eine glaubhafte Atmosphäre – schließlich treffen die Jugendlichen im eigentlich verriegelten Haus aufeinander –, sondern zwingt das Publikum förmlich zur absoluten Konzentration auf die beiden Schauspieler. Goldbach und Berg nutzen die Chance, die sich daraus bietet, und spielen mit großem Verständnis für ihre Rollen. Vor allem Goldbach verkörpert den leicht weltfremden Gideon, der von seiner Mutter gelernt hat sein »Märchenherz« zu öffnen, mit großer Hingabe. Den Jugendlichen nimmt man dem Dreißigjährigen ohne Probleme ab. Auch die albernen Momente, etwa wenn Gideon einen Medizinmann mimt oder als schmieriger Reporter die Prinzessin interviewt, scheinen ihm sichtlich Spaß zu machen und sorgen dafür, dass »Märchenherz« vorallem beim jugendlichen Publikum gut ankommt. Auch der gebürtigen Marburgerin Anne Berg, die als Gast am Stadttheater agiert, passt die Rolle des vom Leben in der Arbeitersiedlung frustrierten Teenagers perfekt, der dank Gideon in eine bislang unbekannte Fantasiewelt entrückt wird. Und so ganz nebenbei wird für die beiden klar, dass das Leben (und auch das Bühnenbild) voller Farben sein kann, wenn man gemeinsam statt einsam ist.

»Theater ist der Ort, an den du kommst, um Geschichten zu erleben«, formuliert Gideon. Und wenn diese Geschichten dann auch noch Bezug zur eigenen Erlebniswelt haben, fällt der Zugang um so leichter. In »Märchenherz« werden sich so vor allem junge Zuschauer wiederfinden. Bei der zeitweilig vom Glockengeläut des Stadtkirchenturms begleiteten Premiere gab es dennoch von Älteren und Jüngeren gleichermaßen zufriedenen Applaus, auch wenn einige Zuschauer schon während des Beifalls den Saal verließen, um rechtzeitig zur »vorgestellt«-Veranstaltung zu Ibsens »Volksfeind« im Großen Haus zu sein. Weitere Vorstellungen von »Märchenherz« sind am 28. Oktober (18 Uhr) und 13. November (20 Uhr) im TiL.
Karola Schepp, 25.10.2011, Gießener Allgemeine Zeitung