Schwere Kost gut serviert - Wetzlarer Neue Zeitung

21.05.2012

Schwere Kost gut serviert


Alban Bergs "Lulu" im Stadttheater Gießen
Gießen. "Lulu", das Opernfragment von Alban Berg, hatte im Stadttheater Gießen Premiere. Das Werk gilt als schwere Kost, das Ensemble meisterte die Anforderungen mit Bravour.

Erzählt wird die haarsträubende Geschichte einer jungen Frau, die als Zwölfjährige von einem reichen Mann missbraucht wird. Dieser Dr. Schön verheiratet seine Mätresse mit einem alten senilen Medizinrat Goll. Als der Gatte seine Frau beim Seitensprung mit dem Maler Schwarz ertappt, erliegt er einer Herzattacke. Nun wird Lulu mit dem Maler verheiratet, der sich das Leben nimmt, als er erfährt, dass seine Frau ihn mit Schön und anderen betrügt. Jetzt heiratet Lulu Schön, den sie mit seinem Sohn Alwa betrügt. Was sich anhört, wie eine moderne Soap mit Krimianteilen, ist eine der bekanntesten Opern, eine der wenigen, die in Zwölftonmusik geschrieben ist und von Darstellern, Musikern und Publikum Nerven und Geduld verlangt. Für Sänger sind die Partien nur schwer singbar - das Gießener Ensemble erwies sich da als außerordentlich fähig.

Berg hatte zwei Akte fertiggestellt und für den dritten Akt einige Skizzen angefertigt, als er überraschend verstarb. Den dritten Akt sollte zunächst Arnold Schönberg fertigstellen, was der aus Zeitmangel ablehnte, die Oper wurde daraufhin 1937 in Zürich unvollendet uraufgeführt und ein großer Erfolg.

Haarsträubende Geschichte

Die Gießener Inszenierung nimmt als Grundlage eine 2008 von Eberhard Kloke erarbeitete Fassung. Musikalisch gelang ihm damit ein ganz großer Wurf. Unter der musikalischen Leitung von Herbert Gietzen bescherten die Musiker dem Publikum im nur halb gefüllten Theater einen Zwölfton-Musikgenuss. Für die Sänger war die Uraufführung ein hartes Stück Arbeit, denn bei aller Brillanz der Musik steht sie doch einigermaßen beziehungslos zu der dramatischen Handlung. So singt Alexandra Samouilidou zwar umwerfend gut, dass ihr die Männer bei den Gesängen reihenweise heillos verfallen, möchte man aber nicht so recht glauben. Auch Almerija Delic ist eine brillante Gräfin Geschwitz und Dan Chamandy ein glaubwürdiger Alwa.

Adrian Gans füllt die Rolle des Gewaltmenschen Dr. Schön erstklassig aus. Stephan Bootz überzeugt als Athlet und Tierbändiger gleichermaßen. Eine dankbare Rolle hat Monte Jaffe übernommen, der als Lulus Vater Schigolch von Bettler bis zum König alles sein darf. Die anderen Rollen werden ambitioniert und gut von Odilia Vandercruysse, Woitek Halicky-Alicca, Christian Steinbock, Tomi Wendt, Aleksey Ivanov und Olga Vogt gespielt. Catalin Mustata als Maler Schwarz gibt eine wunderbare Karikatur eines Künstlers.

Dass Kloke die toten Ehemänner im dritten Akt zum Leben erweckt und schließlich Lulu von Dr. Schön ermorden lässt, macht das Bühnengeschehen zwar noch surrealistischer, zeugt aber auch von einer gewissen Hilflosigkeit. Opernfreunden ist zu empfehlen, die Geschichte einfach zu ignorieren und sich dem wunderbaren musikalischen Erlebnis zu widmen.
Klaus-J. Frahm, 15.05. 2012, Wetzlarer Neue Zeitung