Am Ende zu wenig von allem - Frankfurter Rundschau

16.10.2012

In Gießen hängt Yasmina Rezas neues Stück in der Luft

Nun kann man sagen: Was ist eine Lesung nebst Autorengespräch im französischen Städtchen Vilan-en-Voléne gegen eine Lesung nebst Autorengespräch auf der Frankfurter Buchmesse, Hölle aller Empfindsamen, die auch einmal einen Gedanken zu Ende sprechen möchten. Dennoch passt das der Uraufführung am Deutschen Theater in Berlin (FR vom 5.10.) rasch folgende Nachspielen von Yasmina Rezas neuem Stück „Ihre Version des Spiels“ am Stadttheater Gießen wie die Faust ans Ende der Buchmessenwoche.

Dabei zeigen sich hier allerdings vor allem die Schwächen des Stücks: seine selbstreferenzielle, anspielungsreiche Dahingeschwätzigkeit, die sich un-Reza-typisch auf der Bühne nicht unbedingt von selbst hochschraubt, die sich in Gießen praktisch gar nicht hochschraubt, vielmehr im Diffusen steckenbleibt: zu wenig Satire und zu wenig Psychogramm, aber dafür dann auch zu wenig Betriebsausleuchtung, aber dann auch insgesamt überhaupt zu wenig.

Die Inszenierung, die die Intendantin selbst übernahm, Cathérine Miville, tut sich und uns wohl auch keinen Gefallen damit, dass sie – obwohl Stühle bereit stehen – die klassische Lesungssituation umständlich meidet (stattdessen: stete Bewegung und Videoeinsatz). Und die Vorlage einer Mehrzweckhalle und ihrer bedenklichen Atmosphäre – obwphl Kübelpflanzen bereit stehen – ungenutzt lässt. Die Mehrzweckhalle von Vilan-en-Voléne hat zwar nicht das Zeug zum Nachfolger von Bernhard Schwarzem Hirschen von Utzbach zu werden, aber sie ist auch nicht ohne. Stattdessen versuchen es Miville und Ausstatter Heiko Mönnich mit flexiblen weißen Rahmen, die von dieskreten weißen Männlein herumgeschoben werden. Das ist eine ästhetisch ansprechende Lösung, inhaltlich aber doch bloß ein Abklatsch der Verschachtelungen im Text, eine Umgebung zudem, die aufs Abstrakte zielt, während drastische Bodenhaftung vermutlich hilfreicher gewesen wäre.

Die Gießener Schauspieler bleiben weitgehend in der Luft hängen. Vor allem Carolin Weber als unfroh angereiste Autorin, die interessant und scheu, aber nicht schüchtern ist, auf Dauer jedoch bloß vage. Zupackender darf Ana Kerezovic es als unsympathische Kulturjournalistin angehen, so wird sie realistischer, als es Kulturjournalisten angenehm sein kann. Roman Kurtz als verlegener Provinzpoet menschelt einfach, auch das ist ein Weg. Harald Pfeiffers angeklebter Bürgermeistermonolog bleibt hier ein mäßig interessantes Rätsel. Doch kein Selbstläufer, wer hätte das gedacht.


Judith von Sternburg, 16. Oktober 2012, Frankfurter Rundschau