Die Angst des Kindes vor dem Zerbrechen der Familie - Gießener Anzeiger

14.01.2013

Ein hochemotionales Stück bleibt „Du, du und ich“ mit drei bravourösen Darstellern auf der TiL-Studiobühne für Zuschauer ab zehn Jahren Ende Gelände: Es ist und bleibt eine traurige Geschichte, die das Stadttheater Gießen jetzt im TiL für alle ab zehn Jahren präsentiert.

Auch wenn zwischendurch immer wieder witzige und sogar akrobatisch anspruchsvolle Dinge passieren. Das einstündige Theaterstück „Du, du und ich“ erzählt von dem Mädchen Frederike, und davon, wie es unter der bevorstehenden Trennung seiner Eltern leidet. Der lebhaften Spielfreude von Anne-Elise Minetti (Tochter) und der glaubhaften Verkörperung der Elternrolle durch Carolin Weber (Mutter) und Roman Kurtz (Vater) ist es zu danken, dass hier eine höchst authentische Trennungsgeschichte auf der Bühne zu erleben ist, wie sie in vielen Familien mittlerweile zur Realität geworden ist. Ein Verdienst auch von Regisseur Thomas Goritzki, der das Stück des niederländischen Autors Theo Fransz spannend und stimmig inszenierte. Bühne und Kostüme steuerte Bühnenbildner Thomas Döll bei.

Das Licht geht an, der Blick des Zuschauers fällt auf Umzugskartons und verpackte Möbel, im Hintergrund sind die Wände einer Wohnung angedeutet. In einem Fenster erscheinen die Eltern mit ihrem Kind, von goldenem Licht angestrahlt und alle drei singen überglücklich „Wir wollen niemals auseinandergehen“. Überhaupt: Das Singen spielt eine große Rolle in diesem Stück, und wieder einmal zeigen drei Schauspieler des Stadttheaters, dass sie auch in den Sparten Musik und Tanz einiges vorzuweisen haben.

Doch dieses erste Lied ist natürlich blanke Ironie, was sich schon daran zeigt, dass die Szene sich in Sekundenschnelle wandelt: Die Eltern streiten sich, und Frederike weigert sich, auf die Fragen der Mutter zu antworten. „Wenn ich es nicht mehr aushalte, mache ich die Musik in meinem Kopf lauter“, vertraut das Mädchen dem Publikum an. Mit Kapuzenjacke, kurzem Röckchen, Springerstiefeln und vor allem trotzigem Gesicht verkörpert es ein typisch pubertierendes Girli.
Aber bei Frederike kommt die Angst vor dem Zerbrechen der Familie hinzu. Mama motzt sie nur noch an und Papa ist schlecht gelaunt und gereizt. Da lässt sie doch lieber ihren eigenen Film im Kopf ablaufen, in dieser Geschichte müssen die Eltern tun, was sie will. Da sind Mama und Papa wieder frisch verliebt, soeben haben sie sich im Zirkus kennengelernt, dann sitzen sie zusammen im Auto und werfen sich solange glühende Blicke zu, bis es fast zum Verkehrsunfall kommt.

Und dann folgt, von Frederike noch einmal genüsslich ausgedacht, die Szene der eigenen Geburt: die Mutter mit Presswehen, der Vater in höchster Aufregung und zwischendrin die kleine Frederike. Das sind Szenen, so richtig zum Herumtoben, und von allen drei Schauspielern mit Bravour auf die Bretter gelegt. Der Vater (Roman Kurtz) fällt einmal sogar mit seinem Schaukelstuhl um, sodass sich die erschrockenen Zuschauer fragen, ob das wohl ein Versehen war? Da gibt es viel zu lachen und kichern für Groß und Klein, doch den starken Gegensatz zu diesen Wunschträumen bilden die Realitätsszenen, in denen die Eltern wieder streiten und Frederike sich erneut weigert zu sprechen und sich mit den Fäusten gegen den Kopf schlägt. Nein, sie kann keinen „Schaden“ von der Familie abwenden, nicht einmal die besten Zaubersprüche helfen. So steht am Ende dann die Erkenntnis: Eltern bleiben vielleicht nicht für immer zusammen, aber sie bleiben für immer Eltern.

Den rasanten Wechsel von der Fantasie zur Realität, von der Ironie zur alltäglichen Kommunikation können die jüngeren Kinder vielleicht nicht immer nachvollziehen. Doch ein hochemotionales Stück bleibt „Du, du und ich“ in jedem Falle, wie Erwachsene und Kinder am Ende mit ihrem begeisterten Beifall zeigten.

Weitere Vorstellungen am 17. Februar um 11 Uhr und am 23. März um 18 Uhr im TiL.

Ursula Hahn-Grimm, 14.01.2013, Gießener Anzeiger