»Gift« im Theaterstudio - Gießener Allgemeine

03.09.2012

Carolin Weber und Rainer Hustedt spielen in »Gift«, das am Freitag unter der Regie von Alice Asper im TiL Premiere hatte, ein Ex-Ehepaar, das vor zehn Jahren den gemeinsamen Sohn durch einen Autounfall verloren hat.

Während er wieder geheiratet hat und der Geburt eines neuen Kindes entgegenblickt, kämpft sie mit dem seelischen Widerstreit, unter dem Tod des Sohnes zu leiden, aber eben auch mit dem Unvermögen, produktive Trauerarbeit zu leisten. Nach Sitzungen bei Therapeuten, Psychoanalytikern und Psychologen muss sie feststellen, dass nichts so sein wird wie zuvor und es an ihr liegt, wieder glücklich zu sein.

Siebzehn weiße Plastikstühle, sieben Buchsbäumchen, ein weißes Waschbecken am rechten Bühnenrand, ein Kaffeeautomat links an der Wand: Das sterile Bühnenbild von Bernhard Niechotz lässt zunächst auch auf eine distanzierte Interaktion zwischen den beiden Protagonisten schließen.

In einer Silvesternacht ging er wortlos von ihr, nun trifft man sich nach zehn Jahren Funkstille in einer Friedhofshalle, um die Umbettung der Leiche des Kindes zu besprechen. Es ist von Gift im Boden des Friedhofs die Rede, weshalb alle Betroffenen zu einer Versammlung eingeladen wurden. Davon zumindest geht der Vater aus.

Zunächst betritt Weber die karge Bühne. Sie ist nervös, weiß nicht wo sie Platz nehmen soll. Schließlich legt sie nur ihre Tasche ab und geht wieder. Hustedt, schick mit graumeliertem Haar, betritt telefonierend die Bühne. »Oui, oui, c’est moi!« Er lebt jetzt in der Normandie, während seine Ex-Frau in den Niederlanden geblieben ist. Weber kehrt zurück zu dem Fuhrpark von Plastikstühlen. Sofort liegen Anspannung, gegenseitige Vorwürfe und nie gestillte Sehnsüchte in der Luft. Man bemüht sich freundlich zu bleiben, dem Anlass entsprechend, doch die Sticheleien sind unvermeidbar. »Du siehst auch gut aus«, sagt sie. »Das französische Landleben tut dir gut.« Hierin steckt der Vorwurf, dass er es geschafft hat, an einem anderen Ort ein neues Leben aufzubauen, obwohl sie die Bilder des Unfalls »wie einen 3D-Film« in ihrem Kopf dauerhaft umher trägt. Er holt sich Kaffee und setzt sich neben seine Ex-Frau. Die Nervosität legt sich nur langsam. Was sagt man einem Menschen, den man so lange nicht gesehen hat, mit dem man aber so viel verbindet? Wie schafft man es, seinen persönlichen Frust nicht Oberhand über ein klärendes Gespräch gewinnen zu lassen? Die Begegnung zwischen Weber und Hustedt ist eine dauerhafte Gratwanderung zwischen tiefer Trauer, Ärger über die eigene Unfähigkeit, Vergangenes ruhen zu lassen und einem Rest Liebe. »Ich bin froh, dass ich dich sehe«, behauptet er, doch die Enttäuschung lässt nicht lange auf sich warten. Sie ist ihm zu zynisch, er ihr zu pathetisch, weil er begonnen hat, seinen Verlust in Prosa zu fassen.

Es ist ein schönes Comeback, das Weber gibt. Sie kichert mädchenhaft, biedert sich ihrer verflossenen Liebe an, tobt verletzt und zeigt sich dankbar für das Vertraute aus der Vergangenheit. Hustedt überrascht dieses Mal positiv mit der Rolle des Mannes, der innerlich zerrissen ist. Er traut sich in Gegenwart seiner Ex-Frau nicht, sein schwer erarbeitetes neues Glück zu leben. Er bemüht sich fieberhaft, die Mutter seines Sohnes mit Schokolade aufzumuntern, singt mit ihr den alten Lieblingssong »Summer of »69« und ist doch machtlos gegen ihre Entscheidung, der Trauer einen alles andere überwiegenden Stellenwert einzuräumen. Selbst als er merkt, dass sie das Treffen arrangiert hat, ist er ihr nicht böse, sondern froh um die schöne Zeit, die er in dieser Begegnung sieht. Zum Abschied halten sie sich in den Armen, summen noch einmal leise die berühmten Zeilen von Bryan Adams und lassen zufriedene Gesichter im fast ausverkauften TiL zurück.

Sophie Nagel, 03.09.2012, Gießener Allgemeine