Giuseppina Piunti ist als Fosca eine Wucht - Gießener Anzeiger

04.02.2013

Wild, schön, sexy

Giuseppina Piunti ist als Fosca eine Wucht - Deutsche Erstaufführung der Gomes-Oper mit Jubelstürmen gefeiert

Das Gießener Opernpublikum hat einen neuen Liebling: eine Piratin. Sie ist wild, schön, sexy und lodert vor Leidenschaft. Und wer wäre besser dazu geeignet, sie zu verkörpern, als Giuseppina Piunti, die auf der Bühne des Stadttheaters schon etliche Male in Glanzrollen starker, selbstbewusster Frauen zu erleben war? Als Piratin Fosca liefert sie erneut ein Meisterstück und rührt die Herzen: Besser geht‘s nicht! Und so jubelte am Ende der zweieinhalbstündigen Premiere am Samstagabend das ganze Haus.
Natürlich ist die Piunti keine Einzelkämpferin in dieser ehrgeizigen Produktion des Gießener Musiktheaters, die Opernfachleute und Kritiker aus dem ganzen Land am Premierenabend nach Gießen lockte. Und die werden sich hinterher - genau wie das Publikum - nur noch gefragt haben: Wie kann es sein, dass dieses Werk so lange unbeachtet geblieben ist? Gegeben wurde die Piratenoper „Fosca“ von Antonia Carlos Gomes (1836 bis 1896), die 1873 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde und dort in einer späteren Überarbeitung überaus erfolgreich war. Doch dann verschwand sie aus unerklärlichen Gründen von den Spielplänen - bis sie die Schatzheber des Gießener Stadttheaters wieder entdeckten und ihr nun nach 140 (!) Jahren in ihrer deutschen Erstaufführung wieder zurück auf die Bühne verhelfen.
Gomes war zwar Brasilianer, doch als Opernkomponist Italiener durch und durch. Mit Arien, Melodiebögen, Ideenreichtum und Vielfalt schöpft er die ganze Bandbreite der italienischen Musik aus. Vor genau zwei Jahren setzte das Gießener Produktionsteam schon einmal auf diese Karte und verzeichnete mit der deutschen Erstaufführung der Gomes-Oper „Lo Schiavo“ (Der Sklave) einen großen Erfolg. Wie damals unter Carlos Spierer so musste das Philhamonische Orchester Gießen auch diesmal unter der Leitung des stellvertretenden Generalmusikdirektors Florian Ziemen unter erschwerten Bedingungen mit zum Teil miserablem Notenmaterial proben. Am Premierenabend war aber von all diesen Schwierigkeiten nichts mehr zu hören. Ziemen und seine Musiker boten eine souveräne Leistung, bei der sie den nicht seltenen Brüchen und Stimmungsschwankungen mit spielerischer Eleganz begegneten und die jeweils dramatische Zuspitzung auf den Punkt brachten. In der beherzt-inspirierten Wiedergabe lässt sich sehr schön erkennen, dass Gomes ein Zeitgenosse der beiden „Geburtstagskinder 2013“, Verdi und Wagner, war: hier die durchkomponierten Szenen und der Wille zu differenzierter Charakterzeichnung des einen, da die Motivtechnik des anderen.
Schwarz und Weiß
Schwarzweiß-Kontraste prägen die Bühne (Lukas Noll) und die Kostüme (Bernhard Niechotz): Leuchtend weiße Linien, die eine sich nach hinten verjüngende Perspektive kennzeichnen, bündeln sich auf tiefschwarzer Bühne in einer roten Tür im Hintergrund. Die ganze Spielfläche davor bleibt frei. Zu beiden Seiten links und rechts blickt der Zuschauer auf gemalte Kulissen mit schwarzen Felsen, wenn man sich im Versteck der Piratenbande befindet, oder auf schwarze Kirchenbänke, wenn die Handlung in Venedig spielt. Die Piraten in Schwarz, die in ihren dunklen Anzügen und Sonnenbrillen wie Mafiosi daherkommen, treffen auf die Stadtgesellschaft Venedigs in Weiß. Dabei sehen die vornehmen Venezianer aus wie eine Mischung aus „Traumschiff“-Offizieren und Krankenhauspersonal. Und ihre Frauen tragen genau solche Reifröcke, über die sich Wilhelm Busch in seinen Zeichnungen einst lustig machte.
Mit Augenzwinkern
Schon in der Ausstattung spürt man leise Ironie, denn mit einem gelegentlichen Augenzwinkern bricht Regisseur Thomas Oliver Niehaus die vermeintlich eindeutige Ordnung von Gut und Böse immer wieder auf. Zudem markieren Liedzeilen aus amerikanischen Schnulzen in Leuchtschrift („And I said I love you“, „I never stopped loving you“) immer dann das optische Gegengewicht, wenn die dramatische Liebesgeschichte auf der Bühne wieder auf einen ihrer Höhepunkte zusteuert. Und wenn zum Beispiel kurz vor dem Ende der Gefangene Paolo sein Schicksal besingt, weil er glaubt, bald hingerichtet zu werden, und dazu aus dem Orchestergraben eine schöne, wehmütige Romanze der Solo-Bratsche (perfekt: Tiberiu Idvorean) erklingt, erscheint auf der Übertitelungsanzeige der Hinweis: „Bratschensolo“.
Gleichwohl nimmt Niehaus die Figuren und ihre Gefühle ernst, gibt sie niemals der Lächerlichkeit preis, sondern möchte lediglich ihre Regungen und Beweggründe mit den Mitteln des heutigen Theaters glaubhaft schildern. Und da er dies so dezent dosiert, dass die Ernsthaftigkeit des Dramas durch die kleinen komischen Elemente nicht Schaden nimmt, bleibt die dramatische Wucht voll und ganz erhalten und tut ihre Wirkung. Hinzu kommt eine Personenführung, die zum Glück auf unmotiviertes Hin- und Herhampeln verzichtet und stattdessen den Darstellern große Freiheiten eröffnet, ihre Stärken auszuspielen.
Ein Regieeinfall ist es auch, die Titelfigur Fosca durch die Figur „What I am“, dargestellt von Sora Korkmaz, zu doppeln. Durch ihre Handlungen spiegelt die Doppelgängerin noch einmal die Wünsche, Hoffnungen und seelische Verfassung der Heldin wider. Wenn sie dem angebeteten Paolo nach der Arie Blumen überreicht oder ihn wie ein verliebter Teenager um ein Autogramm bietet, dann zeigt das nur, was Fosca von Herzen gerne täte, aber nicht kann, weil sie nicht aus ihrer Haut herauskann.
Ungeheure Intensität
Als Fosca ist Giuseppina Piunti eine Wucht. In ihrer Stimme lodern Leidenschaft und Liebesglut. Ob betörend oder zornig - wieder zieht die Mezzosopranistin mit ihren dunklen, geheimnisvollen Tönen die Zuhörer in ihren Bann und steigert ihre Darstellung zum Ende hin zu ungeheurer Intensität. In der großen Arie „Quale orribile peccato“ im zweiten Akt und dem zu Herzen gehenden Duett mit Maria Chulkova als Rivalin Delia erklimmt ihr Gesang die Höhen der Ausdruckskunst. Im Vergleich zu ihr ist Maria Chulkova aber keineswegs ein Mauerblümchen. Mit ihrem klar geführten Sopran und einem Gesang voller Anmut und emotionaler Hingabe bezaubert auch sie das Publikum. Schwelgerisch blühenden Wohllaut entfaltet sie im Duett mit dem Tenor Thomas Piffka als Paolo, um den sich in diesem Stück die Frauen reißen. Piffka bringt denn auch die stimmliche Ausstrahlung, eine schöne Höhe und den nötigen Schmelz mit, um in dieser Rolle erfolgreich zu bestehen.
Adrian Gans, der als Pirat Cambro mit seiner orangefarbenen Irokesenfrisur einer der wenigen Farbkleckse in der Inszenierung ist, setzt sich mit der phänomenalen Durchschlagskraft seines Baritons wiederum vortrefflich in Szene. Er versteht aber auch seiner Stimme weiche Facetten abzugewinnen, und als Darsteller darf er seine komödiantische Seite ausspielen, etwa als Schmuckverkäufer. Ein Mann wie ein Bär ist Calin-Valentin Cozma als Piraten-Boss Gajolo, dem er auch stimmlich mit seinem kraftvollen Bassbariton imposant Nachdruck verleiht. In weiteren Rollen sind Aleksey Ivanov als Senator Giotta und Tomi Wendt als Doge zu erleben.
Der Chor der Mafia-Piraten ist von Chordirektor Jan Hoffmann ebenso gut auf seine Aufgabe vorbereitet worden wie die blondperückten Reifrock-Damen Venedigs.
Thomas Schmitz-Albohn, 04. Februar 2013, Gießener Anzeiger