Im Kartenhaus des Erfolgs: Neues vom Jugendclub Spieltrieb - Gießener Allgemeine Zeitung

06.05.2013

»Survival of the fittest Wettbewerb des Lebens«: Jugendliche präsentieren fünf selbst geschriebene Kurzdramen auf der TiL-Studiobühne.
 
Fünf qualifizierte Bewerber für einen Gymnasiumsplatz: Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen (v. l.) Jemina Coletta, Lea Nober, Filip Schuffert, Dana Golafra und Charlotte Wiesner. (Foto: Engelke)
Der Jugendclub des Stadttheaters hat derzeit 24 Mitglieder. In letzter Zeit haben sie sich intensiv mit einem Thema beschäftigt: dem Erfolg. Nach Charles Darwins Prinzip »Survival of the fittest« – nachdem nur die bestangepassten Individuen überleben – ist im »Wettbewerb des Lebens« erfolgreich, wer sich in gesellschaftlichen Positionskämpfen bestmöglich in Szene setzen kann. Doch ist Erfolg alles, was zählt? Wieweit sollte man für Aufmerksamkeit und Anerkennung gehen? Mit fünf selbst geschriebenen Kurzdramen gibt der Jugendclub Spieltrieb seit Samstagabend Antworten auf diese Fragen.

In »Der Traum von Wimbledon« steht der sportliche Erfolg an erster Stelle. Nur durch ein erhebliches Trainingspensum lässt sich der Wunsch nach einer Tenniskarriere verwirklichen. Zwei Freundinnen (Lea Nober, Savina Fleck) geraten in Streit über die Frage, ob diesem Ziel alles untergeordnet werden sollte.

Der Wille zum Erfolg macht auch den Tänzer Reese (David Meier) blind: Er hat es mit seiner Formation ins Finale eines renommierten Wettbewerbs geschafft. Vom Erfolgsdruck angespornt, drängt er die Gruppe zu mehr Fleiß – doch für die anderen vier Teammitglieder gibt es noch ein Leben neben dem Tanz. »Dancing is my life« scheint nur für Reese zu gelten.

Von den Phrasen und dem Getue um sie herum, ist auch Carla (Dana Golafra) in das »Fassadenmädchen« genervt. Sie sucht die Distanz. Der Preis des Erfolgs ist der Verlust des mitmenschlichen Kontakts. Erst in Marie (Jemina Coletta) trifft sie eine verwandte Seele, die ihre Fassade aufbricht. Für die anderen bleibt sie die »fiese Schlange«, die sich mit ihrer kühlen Art selbst isoliert.

Persönliche Wertschätzung bleibt auch Alex (Filip Schuffert) verwehrt. In »ausgenutzt!« gelingt es selbst einer angehenden Psychologie-Studentin nicht, ihm seinen Minderwertigkeitskomplex zu nehmen. Während um ihn herum alle erfolgreich ihren Weg gehen, wird er von Freunden ausgebeutet und bleibt dabei aber selbst auf der Strecke.
Auch der feinsinnigen Jule (Andreea Popa) gelingt es nicht die eigenen Bedürfnisse mit den Ansprüchen der Gemeinschaft auszubalancieren. In »Die Neue« sehnt sie sich nach persönlicher Anerkennung in einer ihr fremden Umgebung: Sie möchte sich mit zwei Punk-Mädchen anfreunden – dafür muss sie ihre bisherige Identität erheblich ändern und geht am Ende einen Schritt zu weit.

In der zu Recht umjubelten Premiere des Jugendclubs Spieltrieb war alles drin, was Theater wertvoll macht: Liebe, Leidenschaft und Lebenslust. Ein inhaltsreicher Theaterabend der unverkrampft und beherzt den Prunkbegriff »Erfolg« szenisch auseinandernimmt und nebenbei zeigt, dass in dieser Republik hinsichtlich des theatralen Nachwuchses kein Fachkräftemangel herrscht. Die nächste Aufführung auf der TiL-Studiobühne ist am 18. Mai.

Marko Karo, 06. Mai 2013, Gießener Allgemeine Zeitung