In Weimar stauben die Teetassen - Frankfurter Rundschau

16.04.2013

In Weimar stauben die Teetassen
Katharina Gerickes „Lenz“ glückt in Gießen


Eingekreist von Grimm- und Büchner-Jahrestagen  - die Brüder allesamt nacheinander, Büchner erst mit seinem Todes-, jetzt mit seinem Geburtstag – bleibt den Theatern im Allgemeinen und den hessischen Theatern im Speziellen gar nichts anderes übrig, als noch mehr und noch mehr Ideen dazu zu produzieren. Am Stadttheater Gießen, durchaus im Zentrum des Geschehens, gibt es Ende Juni ein internationales Büchner-Festival, bei dem das Publikum etwa einen südafrikanischen mit einem belgischen, ukrainischen, japanischen „Woyzeck“ vergleichen kann.
Jetzt aber gab es vorneweg auf der Studiobühne TiL die Uraufführung von Katharina Gerickes kleinem Stück „Lenz. Fragmente“. So dass man natürlich an Büchners „Lenz“ denken muss, aber dann doch auf etwas Eigenes, Aufmerksames und Skurriles trifft, also im Büchnerschen Sinne, aber eine Art “Was davor geschah“: Szenen („Fragmente“) zu Jung-Lenz und Jung-Goethe als stürmende und drängende Studenten in Straßburg. Nachher Lenz auf Besuch in Weimar, wo Goethe schon ganz eingestaubt ist. Gericke und Regisseur Christian Lugerth schütten den Spott kübelweise aus. Selbst die Weimarer Teetassen stauben stark, Schlafsucht überfällt jedermann, und poliert wird nur das goldene „Von“-Schildchen um Goethes Hals. Wie gemein. Aber lustig, auch lustig gemacht, flott, entspannt und einmal im Leben nicht aus Goethes Sicht, sondern aus der Sicht eines staunenden Verlierers. Der Hofbeamte expediert den peinlichen Jugendfreund rasch wieder aus der Stadt.
Auf einer groben Bretterbühne und in historischer Verkleidung (Ausstattung: Bernhard Niechotz) lässt Lugerth auf Gerickes, Lenzens und Goethes Texte die Darsteller ein bisschen wie die Puppen tanzen und toben. Das Possierliche macht sich trefflich neben der Avantgarde, die die Jungdichter schließlich einmal waren und in einer Session eindrucksvoll vorführen. Lukas Goldbach ist als Lenz ein Spielball seiner Gefühle und Einfälle, während Milan Pešl als Goethe ein schmaler kalter Fisch und Bürgerbub bleibt. Für Lenz geht es um alles, für Goethe um eine Phase, zeigt das Stück, und damit zeigt es auch Lenz‘ Tragödie, ohne einen Theaterabend mit Schulunterricht zu verwechseln.
Die Frauen, aus Lenz‘ Leben und Werk, teilen Mirjam Sommer und Petra Soltau geschmeidig unter sich auf. Außerdem fand sich ein geeigneter, nämlich verblüffender Darsteller für Lenz als Kind, Claudio Mitrovic.

Judith von Sternburg, 16. April 2013, Frankfurter Rundschau