»Kaspar Häuser Meer« von Felicia Zeller im Theaterstudio - Gießener Allgemeine

15.10.2012

Felicia Zellers »Kaspar Häuser Meer« hatte nun auf der TiL-Studiobühne Premiere. Die nächste Vorstellung findet auf der Großen Bühne statt: Am 24. Oktober zur Langen Theaternacht.

Als der zweijährige Kevin 2006 tot im Kühlschrank aufgefunden wurde, da war die Empörung groß und die Schelte gegen die zuständigen Mitarbeiter des Bremer Jugendamtes heftig. Die 1970 geborene Felicia Zeller hat dieses Thema im Auftrag des Theaters Freiburg aufgegriffen und daraus ein ganz besonderes Theaterstück gemacht. »Kaspar Häuser Meer« handelt aber nicht von den Opfern, sondern von denen, die helfen wollen und immer wieder scheitern. Das groteske Sozialdrama hatte nun in der Regie von Malte C. Lachmann, der gebürtige Marburger ist Gewinner des Jurypreises des Körber Studio Junge Regie, auf der TiL-Studiobühne Premiere. Es waren eineinviertel Stunden intensives Theater sowohl für die drei Schauspielerinnen als auch für das Publikum.

Zeller zeigt die Jugendamtsozialarbeiterinnen Anika, Barbara und Silvia in einem Zustand völliger Überforderung. Ausgebrannt und überlastet arbeiten sie die viel zu vielen Fälle ab, die sich in den Aktenschränken stapeln. In jedem Ordner verbirgt sich das Schicksal eines Kindes, das vor den eigenen Eltern gerettet werden muss. Und als dann auch noch Kollege Björn wegen Burn-Out ausfällt, bricht das mühsam mit Zetteln und Büroritualen aufrechterhaltene System der drei Frauen endgültig zusammen.

Hochachtung vor der Leistung der drei Schauspielerinnen, die an der ihnen gestellten Aufgabe, den sperrigen Text Zellers in faszinierendes Sprechtheater umzusetzen, nicht scheiterten. Denn was die Autorin den Mimen, aber auch dem Publikum zumutet, ist ein unglaubliches Stück Arbeit. Da werden Sätze abgebrochen, aufeinandergestapelt, in Endlosschleifen entnervend wiederholt; es gibt repetitive Sätze, die im Klang wie eine Bach-Kantate anmuten; und das Ganze in abenteuerlichem, ein bisschen an Rap-Musik erinnerndem Sprechtempo. Zeller hat dabei genau die Sprache der Jugendamtsmitarbeiter recherchiert, quasi der Wirklichkeit abgelauscht, und flicht deren Jargon in Wortkaskaden und chorisches Sprechen ein. Das erfordert auf und vor der Bühne höchste Konzentration – auch wenn es einiges zu Lachen gibt.

Lachmann setzt die so entwickelte Sprachpartitur im optisch stark reduzierten Schwarz-Weiß-Bühnenbild von Udo Herbster um. Die drei Aktenschränke, Schreibtische und Bürostühle wirken wie Inseln, wo jeder Mitarbeiter mehr oder weniger Einzelkämpfer bleibt. Auch beim gemeinsamen Meditieren – auf der Suche nach der »inneren Parkbank« – kommen die drei Frauen nicht wirklich zusammen: die ehrgeizige Silvia mit Alkoholproblem (impulsiv gespielt von Mirjam Sommer), die alleinerziehende Anika, die scheinbar ihre eigene Tochter vernachlässigt (hier spielt Anne-Elise Minetti mit feinen Nuancen), und die gluckenhafte Barbara, die ihre berufliche Erfahrung wie ein Schild vor sich her trägt und von Petra Soltau souverän verkörpert wird. Wirkliche Charakterfiguren sind die drei Damen nicht, auch wenn ihre persönlichen Geschichten immer wieder aufblitzen. Nachdem Mirjam Sommer den Schlusssatz gesprochen hat, verharrt das Premierenpublikum zunächst in Stille. Das Gehörte muss sich eben erst einmal setzen an diesem intensiven, aber sehenswerten Theaterabend.

Karola Schepp, 12.10.2012, Gießener Allgemeine