Konzertante Oper wird zum Sängerfest - Oberhessische Presse Marburg

07.12.2012

Konzertante Oper wird zum Sängerfest

Publikum bejubelt Premiere von Verdis „Oberto“ im Stadttheater Gießen – CD Mitschnitt erscheint 2013

Dem neuen Gießener Generalmusikdirektor Michael Hofstetter ist es zu verdanken, dass Opernfans die konzertante Aufführung von Verdis erster Oper demnächst zu Hause wiederhören können.
Ein Genie kündigt sich an: In seiner ersten Oper „Oberto“, uraufgeführt 1839 an der Mailänder Scala, bedient sich der 26-jährige Giuseppe Verdi zwar noch in der Melodieführung und virtuosen Ausformung der Gesangspartien bei seinen Belcanto-Vorbildern Bellini, Rossini und Donizetti. Aber er zeigt bereits die Pranke des Löwen, der spätestens ab seinem ersten Welterfolg „Rigoletto“ fast ein halbes Jahrhundert lang bis zum finalen „Falstaff“ die italienische Opernwelt beherrschen sollte.
Im kommenden Jahr wird Verdis 200. Geburtstag gefeiert – und der seines Anitpoden Richard Wagner. Das Stadttheater Gießen läutet bereits jetzt das Verdi-Jahr ein: mit einer konzertanten Produktion des „Oberto“. Und die Entscheidung gegen eine Inszenierung war auf jeden Fall richtig. Denn die eingesparten Kosten ermöglichten die Verpflichtung von drei hochkarätigen Gastsängern, die sich das Stadttheater sonst nie hätte leisten können.
So bietet „Oberto“ Opernfans ein Sängerfest sondergleichen. Und auch der 75-köpfige Chor in der Einstudierung von Jan Hoffmann sowie das Philharmonische Orchester Gießen wachsen über sich hinaus. Sicher auch, weil die insgesamt drei konzertanten Aufführungen mitgeschnitten werden für eine CD-Produktion, die im kommenden Jahr auf den Markt kommen soll – dank Gießens Generalmusikdirektor Michael Hofstetter, der für die selbe Plattenfirma bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen schon Verdis „Troubadour“ eingespielt hat. Hofstetter ist ein idealer Verdi-Dirigent: Er liebt Stimmen und trägt die Sänger auf Händen, erzielt jedoch auch mit zupackendem Elan den für Verdi typischen energisch-männlichen Ton, der nichts mit der sonst so oft zu hörenden lautstarken Kraftmeierei zu tun hat.
Adrian Gans aus dem Gießener Ensemble leiht dem unbeugsam auf Rache für verletze Vaterehre drängenden Titelhelden seinen im Forte und in der Höhe raumfüllenden Bariton, gewinnt diesem jedoch auch eindringlich dunkel-sonore Belcanto-Tugenden ab. Sein Widersacher Riccardo findet in Norman Reinhardt einen biegsam-schlanken Tenor mit mühelos strahlender Höhe, der in Timbre und Ton immer wieder an den bedeutendsten Verdi-Tenor seit den 1950er Jahren, Carlo Bergonzi, erinnert.
Sensationell besetzt sind auch die beiden von Riccardo betrogenen Frauen: Als Leonora berührt Francesca Lombardi Mazulli mit mädchenhafter Zartheit; ihr schlanker, in der Barockmusik geschulter Sopran zeigt jedoch auch Zähne in den mühelos attackierten Koloraturen und Intervallsprüngen. Und Manuela Custer las großmütig auf Riccardo verzichtende Cuniza betört mit ihrem im Virtuosen wie im Lyrischen gleichermaßen auf Zwischentöne setzenden schlanken Mezzosopran.
Empfehlung an alle Opernfans: Unbedingt anhören! Dazu gibt es im Stadttheater Gießen noch zweimal Gelegenheit.
Michael Arndt, Oberhessische Presse Marburg