Oper Fosca in Gießen: Zwei Frauen - verrückt vor Liebe - Oberhessische Presse

08.02.2013

Am Stadttheater Gießen hat man einen Narren gefressen an den Opern des brasilianischen Verdi-Zeitgenossen: Nach „Lo Schiavo“ (Der Sklave) vor zwei Jahren ist in Gießen erstmals „Fosca“ auf einer deutschen Bühne zu erleben

Gießen. Im Mittelpunkt der Oper „Fosca“, die Antônio Carlos Gomes vor genau 140 Jahren für die Mailänder Scala komponiert hat, stehen zwei Frauen, die verrückt sind vor Liebe nach ein und demselben Mann: die Piratin Fosca und die Venezianerin Delia - eine Figurenkonstellation, die in der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts eine lange Tradition hat: von Vincenzo Bellinis „Norma“ bis zu Giuseppe Verdis „Aida“, um nur zwei Meisterwerke zu nennen.

Foscas und Delias Liebe zu dem Adligen Paolo trennt und verbindet sie. Um dies zu verdeutlichen, nimmt die Liebe auf der Gießener Bühne reale Gestalt an und firmiert auf dem Besetzungszettel als „What I am“.

Warum das? Weil sie sich, von Sora Korkmaz im Domina-Outfit der Titelheldin hinreißend gespielt, noch vor der Opernouvertüre mit „I Am What I Am“ (Ich bin, was ich bin) einführt. Dieser unter anderem auch von Gloria Gaynor gesungene und zu einer Hymne der Schwulenbewegung gewordene Hit aus „La Cage aux Folles“ (Ein Käfig voller Narren) gibt die Marschrichtung vor: Thomas Oliver Niehaus inszeniert „Fosca“ wie ein Musical. Die großen Gefühle „ira, dolore, amore“, die auf dem schwarzen T-Shirt von „What I am“ zu lesen sind, also „Zorn, Schmerz, Liebe“, lässt er frontal mit opernhaftem Pathos ausspielen, zeigt aber auch, dass alles nur Theater ist. Vor allem die als lächerliche Kino-Mafiosi gezeichneten Piraten und den venezianischen Adel, der sich in seinen güldenen Bilderrahmen gefällt, nimmt er dabei karikierend aufs Korn.

Doch auch die Titelheldin fällt immer wieder aus ihrer Rolle, zum Beispiel wenn sie in rasender Eifersucht mit dem Dolch auf Paolo einsticht - erfolglos, weil dies ein Bühnendolch aus Gummi ist, wie sie achselzuckend dem Publikum zeigt.

Das hat einen hohen Unterhaltungswert. Und dem Premierenpublikum gefiel‘s. Anders wäre dies gewesen, hätte Niehaus auf dieselbe Weise eine der populären Verdi-Opern inszeniert. Dann wäre ihm ein „Buh“-Orkan um die Ohren gefegt.

Die Musik des brasilianischen Komponisten Antônio Carlos Gomes, der seine größten Erfolge in jenem Jahrzehnt feierte, als Verdi zwischen „Aida“ und „Otello“ eine schöpferische Pause einlegte, gerät angesichts der dominierenden Szene fast zur Nebensache.

„Wissen Sie, warumdie so schreien?“

Obwohl sie sich unter Florian Ziemens Leitung im Orchestergraben und auf der Bühne nach Leibeskräften zu behaupten sucht. „Wissen Sie, warum die so schreien?“ Dies fragte ein älterer, dem Akzent nach zu urteilen, aus Österreich angereister Opernfan am Samstag in der Pause den Berichterstatter. Und bezog sich dabei besonders auf die Sopranistin Giuseppina Piunti in der Titelpartie und den Bariton Adrian Gans als intriganten Sklaven Cambro. Ja warum? Weil Leidenschaft von vielen Sängern heutzutage mit größtmöglicher Lautstärke gleichgesetzt wird.

Aber es gab zum Glück auch differenziertere Töne zu hören. Und das einhellig alle Mitwirkenden bejubelnde Publikum wusste dies zu würdigen. Am stärksten feierte es Maria Chulkova als Delia, weil diese ihren schlanken Sopran mühelos leuchten ließ und ihm gleichzeitig feinste Piano-Nuancen abgewann. Auch Tenor Thomas Piffka als Paolo überzeugte mit lyrischer Geschmeidigkeit.
Ist „Fosca“ eine lohnende Ausgrabung? Als Anlass für einen unterhaltenden Opernabend auf jeden Fall. Aber von der dramatisch kontrastreichen Musik bleibt wenig haften, vor allem, weil es keinen einzigen melodischen Einfall gibt, der Ohrwurmqualität hat. Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass die Werke von Gomes schon bald nach seinem Tod in Vergessenheit gerieten.

Michael Arndt, 04.02.2013, Oberhessische Presse