»Orpheus« bezaubert auf der TiL-Studiobühne - Gießener Allgemeine Zeitung

02.10.2012

Gunnar Seidel lädt im Theaterstudio mit »Orpheus« zu einer fantasievollen musikalischen Reise durch die Sagenwelt ein.

Er kann so schön singen, dass die Blumen auf der Wiese zu wachsen beginnen, und hat neben seiner großen Klappe auch jede Menge Mut und Stolz: Orpheus, der sagenhafte Sänger aus der Antike. Als seine geliebte Nymphe Eurydike von einer Schlange gebissen wird und als Tote in die Unterwelt zieht, folgt er ihr, trotzt Höllenhund Kerberos, dem Gott Hades und dem Fährmann Charon, um seine Gemahlin wieder unter die Lebenden zu holen. Doch ein verbotener Blick zurück und Eurydike ist für immer verloren.

Schauspieler Gunnar Seidel erzählt in dem märchenhaften Figurenspiel »Orpheus« Kindern ab acht Jahren auf der TiL-Studiobühne die griechische Sage. Gestern war umjubelte Premiere. Die musikalische Reise durch die Sagenwelt, inszeniert von Regisseur Andreas Mihan und mit Kostümen und Bühnenbild von Teresa Rinn stimmig und höchst variabel ausgestattet, ist ein wunderschönes Theatererlebnis – nicht nur für Kinder. Seidel spielt, singt und spricht alle Rollen selbst und wird dabei von den fantasievollen Figuren unterstützt, die Rinn im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach/Main entworfen hat. Da schiebt Sisiphos als scherenschnittige Holzfigur seinen Stein den Berg hinauf, Fährmann Charon erscheint als eine Art sprechendes Segelschiff und der vielköpfige Höllenhund Kerberos wird durch ein Metallgestell mit leuchtenden Schreibtischlampen samt Hundemasken zum Leben erweckt.

So weit so gut, wäre da nicht das Furunkel am Po des Unterweltwachhunds, das in Form eines roten Luftballons an pikanter Stelle sitzt. Doch Orpheus kann helfen und besingt das Geschwür so lange, bis es verschwindet, sprich der Luftballon in die Zuschauer schwirrt. Dass der harmlose Ballon dort mit erschrecktem »Igitt«-Ruf quittiert wird, zeigt, dass Seidels Spiel den Requisiten neue Bedeutung eingehaucht hat und er kindliche wie erwachsene Zuschauer in seinen Bann gezogen hat.

»Orpheus« ist gespickt mit Musik, die die knappe Stunde Spieldauer wie im Flug vergehen lässt, und auch an eine andere Produktion im TiL – Martin Gärtners »König Ödipus« – erinnert. Seidel spielt Rock’n’Roll auf der E-Gitarre, begleitet seine Gesänge mit den auf Live-Sampler ein- und abgespielten Rhythmen und Geräuschen und lässt es ordentlich krachen. Kein Wunder, dass das ganze Studio am Ende ruft: »Orpheus sing!« Man will einfach noch mehr von dieser musikalischen Reise durch die Sagenwelt. Neben Schultheateraufführungen ist dazu am Sonntag, dem 7. Oktober, um 11 Uhr im TiL Gelegenheit.

Karola Schepp, 27. September 2012, Gießener Allgemeine Zeitung