Tarek Assams Tanzstück „Hausrat“ - Gießener Anzeiger

04.06.2012

Tarek Assams Tanzstück „Hausrat“ zeigt, wie Alltagsgegenstände zu Höllenwerkzeugen werden können

Schwarz, heiß, laut: So stellt man sich die Hölle vor, und genau so präsentierte sich die Bühne im TiL zur Eröffnungspremiere im Rahmen des 10. Festivals TanzArt ostwest. Dieser Eindruck war - einmal abgesehen von den tropischen Temperaturen im TiL - Teil der aktuellen Inszenierung von Gießens Ballettchef Tarek Assam. Er hat sich in Zusammenarbeit mit Bühnenbildner Michele Lorenzini und seinen sechs ambitionierten Mitgliedern der Tanzcompagnie in seinem Tanzstück „Hausrat“ die Tücken des häuslichen Zusammenlebens vorgenommen.
Ein Glanzstück der Bühnenschau präsentierten mit viel Enthusiasmus, tänzerischem Geschick und Teamgeist die drei Tänzerinnen Hsiao-Ting Liao, Mamiko Sakurai und Magdalena Stoyanova. Wirkungsvoll unterstützt wurden sie dabei mit vitalem Einsatz ihrer männlichen Kollegen Keith Chin, Sven Krautwurst und Jeroen Van Acker. Das Publikum war hingerissen von den ganz besonderen Qualitäten und der Expressivität der Tanzcompagnie am Stadttheater und spendete nach der gut einstündigen Aufführung begeisterten Applaus.
„Geschlossene Gesellschaft“ lautet der Untertitel des Stücks, frei assoziiert nach dem bekannten Theaterstück von Jean-Paul Sartre. „Die Hölle, das sind die anderen“, heißt es in diesem Lehrstück des französischen Existenzialismus. Und genauso machen sich auch die drei Paare in Gießen das Leben gegenseitig zur Hölle, obwohl es eigentlich nur um „Hausrat“ geht, um den Staubsauger, um den Espressoautomaten oder um die elektrische Zahnbürste. Jeder Mensch hat einen anderen Umgang mit diesen Haushaltsgegenständen, und genau darin liegt der Zündstoff dieses Stücks. Mal schließen sich die Frauen zusammen, dann wieder die Männer, die „Koalitionen“ wechseln ständig, wenn man es einmal politisch ausdrücken will. Einmal rotten sich sogar alle sechs zusammen, doch nur um in höchster Geschwindigkeit gegen die nächste Wand zu laufen.
Wo sind wir hier gelandet? Möglicherweise in einer Wohngemeinschaft? Die Personen müssen zumindest in einer recht intimen Beziehung zueinanderstehen, denn sie tragen durchweg Schlafanzüge. Das ist nicht eben sexy, und vermittelt dem surrealen Geschehen einen eher biederen Anschein.
Dazu passt die Ausstattung der Wohnung: ein Schrank, eine altmodische Hifi-Anlage, eine Hundehütte (um und über die sich trefflich tanzen und turnen lässt), die Espressomaschine und die Staubsauger, dazu noch ein Berg mit Putzlumpen und diverse Abfallsäcke, das war‘s dann schon. Doch da putzen sich schon mal die Frauen mit der Zahnbürste die Ohren oder nutzen das Gerät zum Toupieren der Haare. Das ist wirklich witzig und das Publikum prustet nicht selten vor Lachen. Das verklingt dann auch schnell wieder, wenn die Hausbewohner eine Tänzerin in die Hundehütte jagen, oder eine andere geknebelt und mit Tape am Boden festgeklebt wird. Doch wirklich bedrohlich wird die Stimmung im Grunde nie, am ehesten noch, wenn die Tänzer unter aggressiven Musikrhythmen gegen die geschlossenen Türen springen und diese vergeblich öffnen wollen.
Der Kampf um Hausrat und Unrat gleitet wie eine surreale Welt am Zuschauer vorbei, und als am Schluss dann noch zwei riesige mit Luft gefüllte Schläuche aus den Schränken herausquellen und die Tänzer immer mehr verdrängen und bis in die Reihen der Zuschauer vorzuwabern drohen, vergisst man Sartre und muss jetzt eher an Altmeister Goethe denken und an seinen Zauberlehrling: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los…“
Ursula Hahn-Gri,,. 26. Mai 2012, Gießener Anzeiger