Zweischneidiges Ergebnis: Oper »Fosca« im Stadttheater - Gießener Allgemeine Zeitung

04.02.2013


Zweischneidiges Ergebnis: Oper »Fosca« im Stadttheater


Der einsame Popstar: Das Stadttheater zeigt als deutsche Erstaufführung die Oper »Fosca« von Antonio Carlos Gomes. Die Premiere hinterlässt einen zweischneidigen Eindruck.


Wie von einem anderen Stern: Fosca (Giuseppina Piunti) in Schwarz vor den weißen Venezianern mit einem finster dreinblickenden Dogen im wallenden Mantel (Tomi Wendt). (Foto: Rolf K. Wegst)
Zwei Jahre nach »Lo schiavo« wieder eine Gomes-Oper am Stadttheater. Wieder eine Ausgrabung. »Fosca« heißt diesmal das Werk des brasilianischen Komponisten, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Italien seine Blütezeit erlebte, ehe er in der Versenkung verschwand. Der Wiederbelebungsversuch vom Samstagabend als deutsche Erstaufführung hinterlässt einen zweischneidigen Eindruck.

An der Musik liegt es nicht. Gomes’ Komposition hat ihre italienischen Momente, auch wenn sie wenig Neues, Überraschendes mitteilt. Das Philharmonische Orchester mit Harfe, Orgel und Bratschensolo (Tiberiu Idvorean) unter Erstem Kapellmeister Florian Ziemen spielt motiviert und energisch. Ziemen, der in Gießen zum ersten Mal eine Oper dirigiert, hat die Eckpunkte der Partitur sauber herausformuliert und setzt immer wieder neue Akzente, um die Sänger zu unterstützten.

Giuseppina Piunti in der Titelpartie der Fosca, auf der Pirateninsel allein unter einer Horde Anzug tragender asexueller Männer, strotzt vor Kraft und Spiellaune. Auch wenn sich die beliebte Sopranistin in der vergangenen Woche krankheitsbedingt schonen musste, bewältigt sie ihre Partie mit Bravour. Das gilt ebenso für Maria Chulkova als Delia. Ihr Sopran hält mit der festeren Stimme der Piunti mit. Chulkovas geschmeidiges Timbre sorgt für Glanzlichter. Tenor Thomas Piffka (Paolo) und Adrian Gans (Cambro) sind die herausragenden Männerpartien. Gans findet als Heldenbariton Gelegenheit, sein immenses Stimmvolumen freizulegen. Piffka gibt in seiner Gießen-Premiere als Tenor den Strahlemann. Calin-Valentin Cozma (Gajolo) singt mit Durchschlagskraft. Alexsey Ivanov (Michele Giotta) und Tomi Wendt (Doge) füllen ihre Rollen sicher. Der Chor zeigt kollektive Stärke (Einstudierung: Jan Hoffmann).

Die Inszenierung von Thomas Oliver Niehaus strotzt vor gut gemeinten Einfällen. Vielleicht hätte der Regisseur, nach der »Lulu« aus dem Vorjahr zum zweiten Mal in Gießen zu Gast, lieber eine Komödie ins Bild setzen sollen. Seine spaßigen Ideen konterkarieren ein ums andere Mal die ernste Handlung, die innere Zerrissenheit der Charaktere wird so zur Farce. Einigen Arien gönnt Niehaus zum Abschluss einen Gag – Regietheatermätzchen.

Zur Erinnerung: Die Oper spielt in Venedig und auf einer Pirateninsel; es gilt, zwei schöne Frauen, die um ein und denselben Mann buhlen, in spannungsreiches Licht zu rücken. Doch das schwarze Einheitsbühnenbild von Thomas Noll kühlt während der vier Akte jede Emotion. In der Dunkelheit laufen vier Leuchtbahnen – zwei links und rechts am Boden, zwei an der Decke –, von vorn nach hinten und verjüngen sich zum Bühnenende hin zu einem Diskothekeneingang als Türausschnitt, der nach Venedig führt. Links gibt’s eine schwarze Kanzel, rechts ein weißes Wasserbecken. Spielt die Szene auf der Pirateninsel, schweben an den Seiten vom Schnürboden graue »Felswände« herab, sind alle im Gotteshaus, flankieren dunkle Kirchenbänke den Raum. Ein weißer Löwe schmückt im dritten Akt das Areal. Ab und an wird im Saal das Licht angedreht, um es danach wieder abzudunkeln.
Allenthalben wird das Publikum in der italienischen Oper mit englischen Zitaten konfrontiert. »And I said I love you« prangt in großen Lettern über der Diskotür, Bariton Gans trägt als Punker mit rot-gelben Haaren ein »I love New York«-T-Shirt und auf dem Podest zum Abschlussquartett, auf dem die Protagonisten ganz mainstreamig (um bei den Amerikanismen zu bleiben) so tun, als sängen sie in Mikrofone, ist »I never stopped loving you« notiert.

Die Personenführung lässt zu wünschen übrig. Die Sänger stehen meist an der Rampe und schmettern von dort deklamatorisch ihre Arien und Duette ins Publikum – so funktioniert das auch in einer konzertanten Aufführung, was rückblickend betrachtet nicht die schlechteste Idee gewesen wäre.

Die Erfindung einer weiblichen Person namens What I am (Sora Korkmaz), die als Foscas Schatten stumm-staunend agiert, war ebenso überflüssig wie der Bilderrahmen bemüht, den sich jener Sänger vorhalten muss, der nicht zum gerade gezeigten Ort gehört und deshalb aus dem hölzernen Viereck heraus intoniert.

Die Kostüme von Bernhard Niechotz passen ins karge Ambiente: Die guten, also die Venezianer, tragen Weiß, die bösen Piraten Schwarz (»Lulu« lässt grüßen). Im Schlussbild darf die Piunti immerhin ein schulterfreies Kleid vorführen. Als sie am Ende mithilfe einer Dosis Gift den Freitod wählt, eilen Fans mit Fosca-Plattencovern herbei, um sich von der Sterbenden ein Autogramm zu holen – das also war die Botschaft und erklärt die englischen Zitate: Fosca ist ein einsamer Popstar! Der Regisseur indes wird nach dieser Inszenierung von Autogrammwünschen verschont bleiben.

Manfred Merz, 04. Februar 2013, Gießener Allgemeine Zeitung