Anfängerkurs für Revolutionäre - Gießener Anzeiger

17.03.2014

Vier gute Darsteller retten stark klischeehaften Theaterabend „Wir sind viele und reiten ohne Pferd“

Eigentlich sollte man eher von Performance sprechen. Denn in Andrea Thiesens Inszenierung von Martin Heckmanns „Wir sind viele und reiten ohne Pferd“ wird auf einen Plot im herkömmlichen Sinne und feste Rollenzuschreibungen völlig verzichtet. Am Donnerstag hatte das Stück im Theater im Löbershof (TiL) Premiere.

Etwa 90 Minuten dauert die Performance, die gesellschaftliche Positionen und ihre revolutionären Gegenentwürfe durchleuchtet. Klar, es geht um das große Geld und damit verbundene Risiken und Nebenwirkungen, natürlich vorwiegend aus Sicht derer, die es nicht haben. Vor allem aber werden ganz unterschiedliche gesellschaftskritische Positionen unter die Lupe genommen, um zu überprüfen, wie Veränderungen wirksam durchgesetzt werden können.

Soziologischer Grundkurs

Dahinter verbergen sich natürlich in erster Linie Ideen, die die Schauspieler Anne-Elise Minetti als Ätz, Sebastian Songin als Klar, Pascal Thomas als Kling und Lukas Goldbach als Knax etwa über die Hälfte der Inszenierung als Dialoge und phasenweise auch monologisch umsetzen. Das klingt anstrengend? Ist es auch, allerdings war es den durchweg guten schauspielerischen Leistungen der Truppe am Donnerstagabend zu verdanken, dass der philosophisch-soziologische Grundkurs der ersten Hälfte überwiegend unterhaltsam, teils witzig rüber kam. Nicht so richtig erschlossen hat sich dabei der Regieeinfall, die Akteure gelegentlich Tierlaute ausstoßen zu lassen. Das wirkte deplatziert und wie ein Witz um des Witzes willen.

Richtig rund ging es in der zweiten Hälfte, als einige der gesellschaftlichen Positionen in Aktion gezeigt wurden. Hier hatte das clevere Bühnenbild von Thurid Goertz seine große Stunde. Sie setzt vor allem auf eine Reihe etwa kniehoher Würfel, die ganz nach Bedarf mal als Träger von Botschaften, dann wieder zusammengenommen als grüne Wiese funktionieren, und sie lässt Geldscheine regnen. Was die Schauspieler in Hälfte zwei so machen? Revolutionär rumrennen und Aktion zeigen, etwa bekleidet mit Schwimmwesten, was natürlich schon stark an Greenpeace-Aktivisten erinnert.

Ohne Bezug

Das ist das Stichwort für das Fazit: Thiesen hat einen vielseitigen und dank der Schauspieler auch häufig unterhaltsamen Theaterabend geschaffen. Inhaltlich wirft das Ganze Fragen auf, denn die dargestellten gesellschaftlichen Positionen sind überwiegend stark klischeehaft verkürzt. Natürlich lebt Karikatur davon, aber bei zu viel Verkürzung besteht natürlich immer die Gefahr, an tatsächlichen Realitäten vorbeizusegeln und – wie im TiL phasenweise zu erleben – bloß noch auf den unterhaltsamen Effekt zu setzen. Ohne klaren inhaltlichen Bezug verbraucht der sich jedoch schnell. Weitere Aufführungen am 21. März, 5. und 20. April, 15. und 31. Mai jeweils um 20 Uhr im TiL.


Stephan Scholz, 15.03.2014, Gießener Anzeiger