Christian Fries mit Bernhards »Der Untergeher« im TiL - Gießener Allgemeine

08.06.2013

Christian Fries stellt auf der TiL-Studiobühne seine Bühnenfassung von Thomas Bernhards »Der Untergeher« vor. Ein ganz besonderer Theaterabend, der nicht nur Fries, sondern auch seinen Zuhörern viel abverlangt.

Am Theater in Graz läuft derzeit eine Bühnenfassung von Thomas Bernhards Roman »Der Untergeher«. Schauspieler erwecken die Figuren zum Leben, es gibt jede Menge Action auf der Bühne. Christian Fries – Autor, Regisseur und früher als Schauspieler Ensemblemitglied am Stadttheater Gießen – geht in seiner Bühnenversion des Stoffes, die er am Samstag auf der TiL-Studiobühne mit seinem Publikum erstmals nach eigenen Worten »erprobte«, einen ganz anderen Weg: Er setzt allein auf die Kraft des Textes, die Sprache Bernhards, die Fasziniation des öffentlich Denkens. Ein ganz besonderer Theaterabend, der nicht nur Fries, sondern auch seinen Zuhörern viel abverlangt.

Auf der nackten TiL-Bühne sitzt Fries, der das Publikum zuvor persönlich in Empfang genommen hat, im Alltags-Outfit auf einem Stuhl. Eine Lampe wirft ihren grellen Lichtstrahl in sein Gesicht. Körperbetontes Theater, wie Fries zu Beginn ironisch anmerkt, ist das gewiss nicht. Eher eine Rezitation, eine Lesung ohne Buch.

Als Ich-Erzähler manövriert Fries bewundernswert textsicher sein Publikum durch die Geschichte von den zwei Klaviervirtuosen – dem namenlosen Ich-Erzähler und seinem Studienkollegen Wertheimer. Als sie einmal Glenn Gould die Goldberg-Varitionen spielen hören, begreifen sie, dass sie dessen Genialität nie erreichen können. Beide ziehen ihre Konsequenzen: der eine, Wertheimer, erhängt sich Jahre später vor dem Haus seiner Schwester, der andere versucht sich als Autor und scheitert ein ums andere Mal an seiner Schrift über Glenn Gould.

Scheitern als Künstler, Scheitern als Mensch, Scheitern am Leben – das sind die großen Bernhard-Themen, die im inneren Monolog als Extrakt gedacht werden. Auch Fries kennt solche existenziellen Krisen, wie er im Programmzettel wissen lässt. Auch er ist ausgebildeter »Klavierkünstler«, der mit seinen Goldberg-Variationen nie zufrieden ist. Auch er lebte wie der Ich-Erzähler in Wien. Auch er ist Glenn-Gould-Verehrer. Fiktion und Realität verwebt Bernhard in seinem Roman. Fries fügt dem noch eine weitere Ebene hinzu: »Ich komme sozusagen auf einen Sprung vorbei und denke öffentlich. Das ist die Idee«, schreibt er.

Bernhards exzessives »sagte er, dachte ich« zieht sich wie im Roman als roter Faden enervierend durch die zwei Stunden des Programms. Doch während Bernhard seinem Leser ganze vier Absatz-Unterbrechungen zumutet, setzt Fries durch das An- und Ausknipsen der Lampe Pausen im Monolog. Er fährt sich immer wieder durch die strubbeligen Haare, leiert manche Text-Passagen – so wie man es eben macht, wenn man denkt. Am Ende des Abends verlässt Fries dann doch noch seinen Stuhl. Er hockt sich auf den Boden und spricht ins Mikrofon, wie der Ich-Erzähler Wertheims Haus erkundet und eine Schallplatte auflegt. Da ist das Publikum, das bis dahin mucksmäuschenstill gelauscht hat, mit leicht ermattet wirkendem Beifall an der Reihe. Für Fries war es ein »schöner Abend«, wie er seine Zuhörer wissen lässt.

Karola Schepp, 02.06.2013, Gießener Allgemeine