Die linden Lüfte...: Philharmonisches Orchester Gießen unter Florian Ziemen versetzt Publikum in Frühlingslaune - Gießener Anzeiger

10.04.2014

Kapellmeister Florian Ziemen und das Philharmonische Orchester Gießen haben die Besucher des 7. Sinfoniekonzerts am Dienstagabend in beschwingte Frühlingslaune versetzt. Mit der Musik von Vivaldi, Beethoven, Schumann und Delius wehten linde Lüfte durchs voll besetzte Stadttheater, und genau wie ein Fluss im Frühjahr schwoll auch das Orchester im Verlauf des Abends vom kleinen barocken Streichorchester zu Beginn zum großen romantischen Klangkörper am Ende an. Und immer wieder gab es wohlverdienten herzlichen Applaus und vereinzelte Bravorufe für durchweg ausgezeichnete Leistungen.

In der wiederbelebten „Auftakt“-Reihe stellte sich die 1993 in San Salvador geborene Geigerin Anna Katherine Claus als Solistin in Antonio Vivaldis „Frühling“ aus den „Vier Jahreszeiten“ vor. Federleicht und mit einem feinen, klaren Ton spielend bot die junge Interpretin genau jene Musizierfreude und gestalterische Fantasie, nach der Vivaldis Musik verlangt. So brachte sie im Dialog mit den Streichern, aber immer selbstbewusst, die vielen liebevollen Details hervor: Vogelgezwitscher, „murmelnde Quellen“, drohendes Unwetter und ein schlafender Hirte.

Nach vielen Jahren stand wieder einmal das Tripelkonzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op. 56 von Ludwig van Beethoven auf dem Programm. In den Konzertsälen ist es nicht oft zu hören, weil es einerseits uneinheitlich erscheint und andererseits einen großen Aufwand erfordert. Das Tripelkonzert stellt ja die Ausführenden vor die Schwierigkeit, ein aus drei Solisten bestehendes Klaviertrio mit dem Orchester musikalisch ins Gespräch kommen zu lassen. Und die Darbietung glückt nur dann, wenn sich alle vier Partner – Pianist, Cellist, Geiger und Orchester – mit demselben musikalischen Subjekt auseinandersetzen und nicht jeweils verschiedene Wege, sondern einen einzigen Weg verfolgen.

Diese Konzentration auf ein einheitliches Ziel war bei der klangschönen Wiedergabe gegenwärtig, so dass das Publikum wie gebannt lauschte. Ziemen erwies sich als souveräner Koordinator, bei dem alle Fäden zusammenliefen. Am Klavier saß der aus der Ukraine stammende Andrij Dragan, der durch seine elegante Art des Spiels einen hervorragenden Eindruck hinterließ. Als ebenbürtiger Partner brachte er sich in das Kräftespiel ein und setzte betont sachlich und manchmal auch kraftvoll seine Akzente.

Beseeltes Spiel und Fingerfertigkeit in Perfektion führten dabei die Geschwister Couchane Siranossian (Violine) und Astrig Siranossian (Violoncello) vor. In ihrer virtuosen Zwiesprache gelangen ihnen Töne der leidenschaftlichen Erregtheit, Töne, die tief aus dem Inneren der Seele zu kommen schienen. Hier zielte alles auf höchsten Ausdruck. Besonders im Largo des zweiten Satzes, in dem das Cello wehmütig singt, gelangten die drei Solisten zu einem innigen Musizieren in großer Hingabe. Hier war auch die enge Vertrautheit miteinander und untereinander zu spüren. Und der Dirigent brachte mit seiner Philharmonie das Kunststück fertig, alles wie aus einem Guss erscheinen zu lassen.

Für den großen Applaus bedankte sich das Solisten-Trio als Zugabe mit einem langsamen Satz aus dem Werk eines armenischen Komponisten. Und weil in ihren Herkunftsländern Krieg sei, so Couchane Siranossian in ihrer Ansprache, spielten sie für „ein einiges Europa“: eindringlich, beschwörend, betörend.

Nur der Vollständigkeit halber muss das anschließende etwas schleppende Stückchen „On hearing the first cuckoo in spring“ von Frederick Delius erwähnt werden.

Romantische Klangpracht entfaltete das Orchester zum Abschluss in Robert Schumanns 1. Sinfonie B-Dur (Frühlingssinfonie). Sie ist eines seiner allerfrischesten Werke; „in feuriger Stunde geboren“, wirkt sie hinreißend, unmittelbar ansprechend. Die ursprünglichen Überschriften über den einzelnen Sätzen „Frühlingsbeginn“, „Abend“, „Frohe Gespielen“ und „Voller Frühling“ hatte Schumann wieder zurückgezogen, denn er war ja kein Programmmusiker und vertraute ganz auf die unabhängige Wirkung seiner Musik, die keiner deutenden Kommentare bedarf. Gleichwohl gehört beim Erklingen dieser Musik nicht viel Einbildungskraft dazu, Frühlingsstimmungen auszumachen. Ziemen hatte sich für eine prägnante, belebende und rhythmisch akzentuierte Interpretation entschieden. Die vielen liebevollen Details waren sorgsam herausgestrichen, ohne dass der große Zusammenhang aus den Augen verloren wurde. Das Larghetto des zweiten Satzes mit seiner innig ergreifenden, weit ausgesponnenen Liedweise, in dem Schumann so unverkennbar zum Ausdruck kommt, packte das Orchester mit sehr viel Feingefühl an. Von den geheimnisvoll schwebenden Akkorden des Scherzos bis zum drängenden, freudig erregten Finale war höchste Konzentration spürbar, so dass die Wiedergabe den Abend krönend abrundete.

 

Thomas Schmitz-Albohn, 10.04.2014, Gießener Anzeiger