Herr Puntila schwitzt in der Textilsauna - Gießener Allgemeine Zeitung

09.09.2013

Das Volkstück, das Bertolt Brecht 1940 im finnischen Exil geschrieben hat, eröffnet in der Inszenierung von Sandrine Hutinet die neue Spielzeit am Stadttheater.


Die Sauna – wer hat sie erfunden? Die Finnen natürlich. Und deshalb darf sie in Sandrine Hutinets Inszenierung von »Herr Puntila und sein Knecht Matti« auf keinen Fall fehlen, hat Bertolt Brecht doch dieses komödiantische Volksstück vom Kapitalisten, der mit seinem sozialen Aufstieg hadert, in den Weiten Finnlands angesiedelt. Die Szene in der dampfenden Badehütte, die Gastbühnenbildner Matthias Schaller stilecht hinter den großen Panoramascheiben eingerichtet hat, gehört denn auch zu den komischsten Momenten dieser Aufführung, erleben wir hier eine völlig neue Form der Textilsauna: schwitzende Männer in langen Hosen, noch dazu eingewickelt in dicke Bademäntel. In Finnland unvorstellbar.

Die französische Regisseurin ist bei ihrem Debüt in Gießen nach eigenen Worten angetreten, um das Spielerische in Brecht herauszustellen. Dabei trägt sie gelegentlich zu dick auf und schrappt nur haarscharf am Klamauk vorbei. Zum Beispiel, wenn sie die drei Bräute Puntilas als Nutten präsentiert, die bei ihrem gemeinsamen Besuch auf dem Hof gleich schon mal eine aufblasbare Puppe, Handschellen und eine Tabledance-Stange für ihre Sexspielchen mitbringen. Völlig überflüssig auch die alberne Schweinsmaske, die der Richter auf der Verlobungsparty im Hause Puntila tragen muss. Ein Abend, der ohnehin aus den Fugen gerät, als der wieder mal betrunkene Gutsbesitzer den auserwählten Attaché kurzerhand an die frische Luft setzt und sich die feine Tochter des Hauses dann einer Verlobungsprüfung durch den Chauffeur Matti unterziehen muss, die sich als Scharade nur unnötig dahinschleppt.

Was der Inszenierung fehlt, ist Tempo und eine gehörige Portion Schmackes. Womit wir beim Hauptproblem wären: Roman Kurtz ist als Puntila viel zu sympathisch. Er gibt nicht den herumbrüllenden Proleten, der es zu etwas gebracht hat, und dick, wie Matti ihn beschreibt, ist er schon gar nicht. In dieser Rolle darf jeder die Sau rauslassen, sollte im nüchternen Zustand seine Angestellten bis aufs Blut schikanieren, um dann mit besoffenem Kopf Menschlichkeit und Zweifel zu zeigen. Aber Kurtz wirkt in seinem Anzug (Kostüme: Susanne Füller) immer eine Spur zu anständig, zu kontrolliert, als dass man ihm den Kotzbrocken voll und ganz abnehmen würde.

Und Matti – eigentlich ein Ausbund an Gewitztheit? Bei Vincenz Türpe befindet er sich auf Tauchstation, Kopf einziehen und ducken, heißt seine Devise. Dabei könnte er bei seinem Chef so leicht auftrumpfen, wenn dieser – wie so häufig – zu tief ins Glas geschaut hat. Doch auch hier nimmt Türpe sich zurück, dreht nur in den Begegnungen mit Puntilas Tochter Eva auf.

Anne-Elise Minetti legt die gewisse Selbstverständlichkeit zutage, die genau um die unangefochtene Position der wohlhabenden Tochter weiß und sich eigentlich zu Tode langweilt. Sie sorgt für ein wenig Salz in der Suppe, die ansonsten allzu brav zweieinhalb Stunden vor sich hin köchelt.

Auch Petra Soltau lässt mit ihren Zwischengesängen aufhorchen, die Paul Dessau eigens für dieses Lehrstück komponiert hat und die Manfred Becker stimmungsvoll am Akkordeon begleitet.


Gießener Allgemeine Zeitung, Marion Schwarzmann, 09.09.2013