Karikaturhafte Verkürzung irritiert - Wetzlarer Neue Zeitung

20.03.2014

„Wir sind viele und reiten ohne Pferd“ hatten im TiL Premiere
 
Eigentlich sollte man von Performance sprechen. Denn in Andrea Thiesen Inszenierung von Martin Heckmanns „wir sind viele und reiten ohne Pferd“ wird auf einen Plot im herkömmlichen Sinne und feste Rollen verzichtet.


Am Donnerstag hatte das Stück im TiL Premiere. Etwa 90 Minuten dauert die Performance, die gesellschaftliche Positionen und ihre revolutionären Gegenentwürfe durchleuchtet. Klar, es geht um das große Geld und damit verbundene Risiken und Nebenwirkungen, vorwiegend aus Sicht derer, die es nicht haben. Vor allem werden unterschiedliche gesellschaftskritische Positionen unter die Lupe genommen, um zu überprüfen, wie Veränderungen durchgesetzt werden können.


Dahinter verbergen sich in erster Linie Ideen, die Anne-Elise Minetti als Ätz, Sebastian Songin als Klar, Pascal Thomas als Kling und Lukas Goldbach als Knax etwa über die Hälfte der Inszenierung als
Dialoge und phasenweise im Monolog umsetzten. Das klingt anstrengend? Ist es auch, allerdings war es den guten schauspielerischen Leistungen der Truppe zu verdanken, dass der philosophisch-soziologische Grundkurs der ersten Hälfte überwiegend unterhaltsam, teils witzig rüberkam. Nicht recht schlossen hat sich der Regieeinfall, die Akteure gelegentlich Tierlaute ausstoßen zu lassen. Das wirkte deplatziert und wi3e ein Witz um des Witzes Willen.


Richtig rund ging es dann in Hälfte 2, als einige der gesellschaftlichen Positionen in Aktion gezeigt wurden. Hier hatte das Clevere Bühnenbild von Thurid Goertz seine große Stunde. Sie setzt vor allem auf kniehohe Würfel, die nach Bedarf mal als Botschaftenträger, dann wieder zusammengenommen als grüne Wiese funktionierten, und sie lässt Geldscheine regnen.


Was die Schauspieler in Hälfte 2 machen? Revolutionär rumrennen und Aktionen zeigen, etwa bekleidet mit Schwimmwesten, was stark an „Greenpeace“-Aktivisten erinnert. Das ist das Stichwort für das Fazit: Thiesen hat einen vielseitigen auch häufig unterhaltsamen Theaterabend geschaffen. Inhaltlich wirft das Ganze Fragen aus, denn sie dargestellten gesellschaftlichen Positionen sind überwiegend stark klischeehaft verkürzt. Klar, Karikatur lebt davon. Aber bei zu viel Verkürzung besteht die Gefahr, an der Realität vorbeizusegeln und – wie im TiL phasenweise zu erleben – bloß noch auf den unterhaltsamen Effekt zu setzen. Ohne klaren inhaltlichen Bezug verbraucht der sich jedoch schnell.

Wetzlarer Neue Zeitung, 18. März 2014, Stephan Scholz