Kinder haben ihre helle Freude an liebevoll inszenierter „Weihnachtsgans Auguste“ mit viel Lokalkolorit - Gießener Anzeiger

15.11.2013

Eine Stimme aus dem Off bringt die vielen kleinen Besucher, die das Stadttheater bis hinauf in den 2. Rang füllen, Punkt 10 Uhr zur Ruhe: „Hier meldet sich wieder euer Radio Elefantenklo“. Moderator Lukas Seiler und sein Kollege melden Staus, Baustellen und Umleitungen rund um Gießen. Es wird schnell klar: „Die Weihnachtsgans Auguste“ ist ein Stück mit viel Lokalkolorit. Ausgeheckt haben den Weihnachtsspaß Regisseur Christian Lugerth und Bühnenbildner Lukas Noll, die auch in der Vergangenheit immer wieder für gutes Theater sorgten. Unterstützung erhielten sie diesmal von Bernhardt Niechotz (Kostüme) und Cornelia von Schwerin (Dramaturgie).

Auf der Eislaufbahn

Ob groß oder klein, alle hatten gestern bei der Premiere ihre Freude an der turbulenten Geschichte rund um die Familie Löwenhaupt und ihre Weihnachtsgans Auguste. Und alle Besucher ließen sich verzaubern von dem wunderschönen Bühnenbild, auf dem die bekannten Gießener Sehenswürdigkeiten in einer Panoramaschau vereinigt sind: Stadttheater, Dino, Neues Schloss, drei Schwätzer und der Schiffenberg. Und zur Winterzeit muss unbedingt die beliebte Eislaufbahn vor dem Stadtkirchenturm dabei sein. Die Idylle hat freilich einen kleinen Schönheitsfehler: Im Vordergrund erinnert ein Baumstumpf an die zahlreichen Baumfällaktionen, die in Gießen in diesem Jahr für Aufmerksamkeit sorgten.

Morgendliches Chaos

Doch von der lokalen nun zur familiären Geschichte: Los geht das turbulente Stück im Wohnzimmer der Familie in der Iheringstraße. Hier herrscht morgendliches Chaos, der Kampf ums Badezimmer bestimmt das Geschehen. Mutter Gerlinde Löwenhaupt (Carolin Weber) muss ihre Yoga-Übungen abbrechen, um die Kinder Isolde (Mirjam Sommer) und Lohengrin (Pascal Thomas) aus dem Bett zu trommeln. Vater Luitpold Löwenherz (Roman Kurtz), Opernsänger von Beruf, nervt die Familie mit seinen Gesangsübungen. Schließlich kommt noch Onkel Karl Theodor (Rainer Hustedt) hinzu, und schon ist die Familie komplett. Ein eingespieltes Ensemble, hier klappt alles, ob Text, Gesang oder kleine Tanzfolgen. Die kleinen Zuschauer waren hingerissen von dem morgendlichen Chaos und den lustigen Dialogen auf der Bühne. Das eine oder andere (Schimpf-)Wort dürfte ihnen nur zu bekannt sein. Als dann am nächsten Morgen (wieder meldet sich als erstes Radio Elefantenklo) der Vater eine lebendige Gans vom Bio-Bauernhof als Weihnachtsbraten mitbringt, wird alles anders. Denn Auguste ist keine normale Gans. Die Kinder schließen das fröhlich schnatternde und singende Tier schnell ins Herz – und versuchen es vor dem Hackebeil des Vaters und der Bratenröhre zu retten.

Zum Gernhaben

Auguste ist in der Tat keine normale Weihnachtsgans, und schon gar nicht, wenn sie von dem Gastschauspieler Sebastian Songin dargestellt wird, der nicht nur quaken und lispeln, sondern auch noch wunderbar tanzen und singen kann. Diese Gans muss man einfach gern haben, und so ist dem Schauspieler ein großer Teil des Erfolgs zu danken.

 Doch zunächst müssen die Kinder und die Gans noch einige Abenteuer bestehen. So führen Isi und Lolo, wie die Geschwister mit Kosenamen heißen, die Gans mit Hundeleine durch den Theaterpark, schließlich muss der Vogel auch mal raus.

Als der Weihnachtstag immer näher rückt und der Vater sich nicht erweichen lässt, versammeln sich die Kinder mit Transparenten zu einer kleinen Demonstration: Gegen das Köpfen von Gänsen und gegen das Fällen von Bäumen. Diese Botschaft ist den Transparenten zu entnehmen. Aber es gibt ein Happy End, und die Kinder dürfen ihre Auguste behalten.

Begeistertes Publikum

Die kritische Haltung gegenüber Tierhaltung und Fleischverzehr ist keine Erfindung von heute. Friedrich Wolfs Kindergeschichte von der Weihnachtsgans Auguste stammt aus den 20er Jahren. Später bearbeitete sie der in der DDR viel gespielte Theater- und Kabarettautor Peter Ensikat für die Bühne und drehte 1988 auch einen gleichnamigen Film. Damals wie heute wird das eine oder andere Kind wahrscheinlich nach dem Besuch des Theaterstücks die gebratene Gans auf der Festtafel mit anderen Augen betrachten. Doch keine Angst, es gibt Alternativen. Die Familie Löwenhaupt entschied sich für Pizza und krönte die Aufführung mit einem flotten Abschiedssong, bei dem die jungen Zuschauer begeistert mitklatschten.

 

Gießener Anzeiger, Ursula Hahn-Grimm, 15.11.2013