Langweiliges schön inszeniert - Wetzlarer Neue Zeitung

30.05.2014

Gießen. Erneut ist am Stadttheater ein hierzulande praktisch unbekanntes Stück Musikgeschichte zu erleben. Denn am Samstag hatte Emilio Arrietas 1850 entstandene Oper "Die Eroberung von Granada" in der Inszenierung von Intendantin Cathérine Miville Premiere.

Am Ende gab es kräftigen Applaus für das "Dramma lirico", bei dessen deutscher Uraufführung allerdings Licht und Schatten zu erleben waren. 
Doch zunächst zu Habenseite der Inszenierung von Miville und des musikalischen Leiters Jan Hoffmann, der auch für die Chorpartien verantwortlich zeichnet. Es gelang musikalisch und optisch berauschend schönes Theater auf die Bühne zu bringen. Das ist natürlich auch das Verdienst von Lukas Noll, zuständig für Bühne und Kostüme. Er verortet die Handlung auf der von großen Panelen eingefassten Drehbühne, die durch ein hohes Metallgestell und eine angeschrägte Rampe Struktur bekommt. Die ermöglicht es unter anderem durch Höhenunterschiede, mit relativ einfachen Mitteln verschiedene Schauplätze zu realisieren.

Kurz gesagt, ein gelungenes optisches Konzept, das mit der im ursprünglichsten Sinne des Wortes schönen Musik eine betörende Symbiose eingeht. Denn das, was das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Hoffmann aus dem Graben sprudeln lässt, ist höchst melodisch. Es macht Spaß, zuzuhören, auch bei den machtvoll vorgetragenen Partien von Chor und Extrachor und den Solisten. Allen voran Naroa Inxausti als Zulema und Giuseppina Piunti als Isabella, die die weiblichen Hauptrollen gerade auch stimmlich mit unglaublicher Präsenz darboten und besonders in den Höhen beachtliche Leistungen zeigten. Hut ab, auch vor Tenor Leonardo Ferrando als Gonzalo, dessen weiche und trotzdem raumgreifende Stimme ebenso betörte wie der gewohnt mächtige Bass-Bariton von Calin Valentin Cozma. Miville und ihren Leuten ist eine visuell und akustisch überzeugende Inszenierung gelungen, die allerdings ein großes Manko hat.

Damit zur Schattenseite des gut zweieinhalbstündigen Theaterabends, die leider die Geschichte selbst ist. Im Kern geht es um die Vertreibung der Mauren aus Spanien und den Abschluss der sogenannten "Reconquista" 1492, in die eine Liebesgeschichte um Zulema und Gonzalo eingebaut ist. Klingt spannend, ist es aber nicht. Denn auf der Bühne passiert praktisch nichts. Oder besser gesagt: Die dargestellten Figuren tauschen sich aus über Ereignisse. Doch zu erleben ist fast nichts außer eben zwischenmenschlicher Kommunikation ohne allzu viel Bewegung.

Das alles auf einen Nenner gebracht: Wer tolle Musik in schöner Optik erleben möchte, sollte diese Inszenierung nicht verpassen. Wer dagegen ein Opernerlebnis in ursprünglichem Sinne erwartet, dem sei abgeraten, denn die langatmige und öde Geschichte verlangt Durchhaltevermögen und legt schon sehr deutliche Vermutungen nahe, warum die Oper seit 1850 nicht auf deutschen Bühnen oder überhaupt außerhalb Spaniens zu sehen war.

Stephan Scholz, 30.Mai.2014, Wetzlarer Neue Zeitung