Lost in personality - Gießener Allgemeine Zeitung

23.05.2014

Ein bisschen erinnert »Homo absurdus«, die jüngste Produktion des Jugendclubs Spieltrieb am Stadttheater, an Edward Hoppers berühmtes Gemälde »Nighthawks«. Auch hier treffen sich Menschen in einer Bar, doch während die sich im Hopper-Gemälde anschweigen, plaudern die illustren Gestalten im neuen TiL-Stück munter drauflos.

Über Gott und die Welt, ihre eigene Lebensgeschichte, ihre Hoffnungen und Ängste. Einen richtigen Handlungsstrang kann man über weite Strecken nicht erkennen. Doch egal. Es macht einfach Spaß, dem Treiben in einer »Kneipe am Rande der Galaxie« zuzuschauen. Und am Ende wird auch noch klar, warum diese Figuren, die sich im echten Leben nie begegnet wären, hier zusammenkommen: Sie haben sich im »Second Life« verloren, irren in Endlosschleife ohne Plan und Perspektive, wie Irrlichter im digitalen Nirwana herum.

Jugendclub-Leiterin Heike Meister und Schauspieler Vincenz Türpe bringen mit den Jugendlichen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, von der Antike bis heute, Figuren der Weltliteratur und der Popkultur sowie Zeugen bedeutender Epochen zueinander – irgendwie, irgendwo, irgendwann. Da flirtet Marilyn Monroe mit Kurt Cobain, duelliert sich Musketier d’Artagnan mit Piratenbraut Anne Bonny, zocken die Schriftstellerinnen Anne und Emily Brontë mit Gangster Al Capone und lässt sich der tyrannische Kaiser Nero auch nicht von Gandhi zum Frieden bekehren. Die Wirtsleute haben alle Hände voll zu tun, die muntere Schar in Schach zu halten, denn jeder von ihnen ist die Karikatur seiner eigenen Persönlichkeit, pflegt mit leicht irrem Blick den »cult of personality«. »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?«, fragt Philosophen-Bestseller Richard David Precht und hier wird diese Suche nach sich selbst auf die Spitze getrieben. 23 Jugendliche verkörpern die unterschiedlichen Rollen, die auch dank ausgezeichneter Maskenarbeit leicht zu erkennen sind. Es macht einfach Spaß, dem bunten Treiben zuzuschauen und entsprechend herzlich fiel am Premierenabend auch der Applaus für die jungen Darsteller und das Regieteam aus.

Wer sehen will, wie Kapitän Janeway vom Raumschiff »Voyager« mit Anne Bonny über Navigation streitet oder Mozarts Mutter Anna Maria mit Marilyn Monroe über das gültige Frauenideal diskutiert, der hat in »Homo absurdus« noch am heutigen Freitag sowie am 15. Juni jeweils um 20 Uhr auf der TiL-Studiobühne Gelegenheit dazu.

Karola Schepp, 23.05.2014, Gießener Allgemeine Zeitung